29.09.2022 | Ben Kaden

Informationsethik und Openess: Die Idee der „Wampum.codes.“

In der Septemberausgabe der Zeitschrift Wired gibt es ein Porträt der Künstlern und KI-Forscherin Amelia Winger-Bearskin und ihrem Ansatz der sogenannten Wampum.codes. (Jackie Snow: Code of Conduct. In: Wired, Sep 2022, S.122f.) Das ist deshalb auch für uns interessant, weil mit dem Konzept die Idee der Openness und zwar im Bereich der Software und Softwareethik einen Schritt weiter gedacht wird. Die Idee, die zunächst für Open-Source-Software-Entwicklung gedacht scheint, erinnert ein wenig an Creative-Commons-Lizenzen, ist allerdings weniger formalisiert und daher möglicherweise flexibler. 

Was meint Wampum.codes?

Das Prinzip ist sehr geradlinig und pragmatisch, was es auch praxistauglich macht. Die Wirkung entfaltet sich auf zwei Ebenen: dem Code und der, wenn man so will, ethischen Sensibilisierung. Auf der Ebene des Codes bedeutet Wampum.codes, dass Programmierende neben dem eigentliche Programm- oder Quellcode in einer Datei (package.json) explizieren, wofür ihr Code nachgenutzt werden kann und welche Nutzungen ausgeschlossen werden. Im Beitrag wird die Beispiele einer ausschließlichen gemeinnützigen Nachnutzung und des Ausschlusses der Nutzung in militärischen Kontexten benannt. In einem Interview erläutert Amelia Winger-Bearskin das am Beispiel eines Web-Templates für Tierheime. Dieses Template soll, so das Szenario, auch anderen Tierheimen zur Verfügung stehen. Laut ethischer Beschreibung sind davon jedoch ausdrücklich die in den USA noch immer vorhandenen so genannten Kill-Shelter ausgenommen. (Amelia Winger-Bearskin: Indigenous wisdom as a model for software design and development. In: foundation.mozilla.org, 02.10.2020)

Wampum.codes als Workshop-Ansatz

Um diese eindeutige ethische Beschreibung vornehmen zu können, müssen die Programmierenden jedoch erst einmal benennen, was sie aus ethischer Sicht für ihren Code wünschen und erwarten. Dafür sind die entsprechenden Workshops gedacht. Wampum.codes-Workshops sind der Beschreibung nach ebenfalls sehr fokussiert und bieten sich daher durchaus auch für einen Nachnutzung an. Das Ziel ist die Entwicklung eines software- und informationsethische Bewusstseins bis zur Befähigung, die jeweils eigenen ethischen Erwartungen eindeutig ausdrücken zu können.

Im Format sind die Workshops an die Logik von Software-Entwicklungsprojekten angelehnt, vermutlich um bei der Zielgruppe unmittelbare Bekanntheit herzustellen. Statt einer Softwareanwendung ist das Ziel hier die Entwicklung eines ethischen Bezugsrahmens (ethical framework“) und seiner textuellen Repräsentation. Im ersten Schritt wird dieser Rahmen gewissermaßen abgesteckt („What are you and your community trying to do? How is this contributing? What could break this contribution? After you’ve spent some time thinking about these questions, try to condense it down into a single summary or mission statement.“).  Im Anschluss erfolgt an Szenarien entlang ein Stresstest (How could this concept be broken? How could someone use this contrary to its purpose?“). Anschließend setzen sich die Teilnehmenden mit der Frage der Verantwortlichkeit und der Durchsetzbarkeit von software- und informationsethischen Grenzen und Grenzüberschreitungen auseinander. Der Wired-Artikel erwähnt es nicht, aber es wäre plausibel und in der Logik der Softwareentwicklung, wenn der ethische Rahmen anhand der Einsichten aus dem Stresstest iterativ überarbeitet würde. Im zitierte Interview wird als weitere Stufe ein „Linting“ erwähnt:

„By analogy, in Wampum.codes linting can be thought of as a stage for identifying some possible uses of your project that would be close enough to your intentions. This can make your ethical statement more robust and provide the community with context and precedent for evaluating potential future uses of your software.“

Das letztlich festgeschriebene ethische „package“ muss allerdings ähnlich wie bei Creative Commons unveränderlich sein.

Ethik und Durchsetzbarkeit

Für Amelia Winger-Bearskin ist es wichtig, nicht normativ eine bestimmte Ethik vorzugeben, sondern den Teilnehmenden zu helfen, ihre eigene ethischen Vorstellungen zu erkennen und sichtbar zu machen. Das ist eine Herausforderung, die auch uns regelmäßig in der Open-Access-Vermittlung begegnet. Am Ende muss eine Lösung funktionieren, also praktikabel sein, ohne einen bestimmten ideellen Anspruch auszublenden. Diese Abwägung zu treffen, ist selbst eine besondere Kompetenz und zugleich Teil der Vermittlungsarbeit. Notwendig ist hierbei ein Wissen in zweifacher Hinsicht:

1. Was sind die jeweiligen ideellen ethischen Anforderungen, Vorstellungen und Wünsche?
2. Was sind die praktischen Grenzen des systemischen Rahmens, in dem Open Access oder auch eine bestimmte Software zur Anwendung kommt und was ist daher bei der Übersetzung des Ideals in eine, wenn man so will, praktizierbare Ethik zu beachten?

Reibungspunkte und Unschärfen werden auch dann bleiben, wenn diese Fragen adressiert sind. Eine perfekte pauschale Auflösung gibt es nicht. Das gilt auch für die Durchsetzbarkeit von Sanktionierungen bei Verstößen gegen die explizierten ethischen Anforderungen. Entsprechend nachvollziehbar argumentiert Amelia Winger-Bearskin, dass in einem ersten Schritt zunächst überhaupt Klarheit über den ethischen Rahmen gegeben sein muss:

„I think we have space to begin to articulate our ethics and values and not have the conversation derailed before we get a chance to design a game because we don’t have the perfect way to catch a cheater.“

Die Formulierung des Rahmens und die bewusste Beschäftigung mit den damit verbundenen Fragen ist demzufolge bereits selbst schon ein Mehrwert. Die konkreten Konsequenzen und deren Durchsetzung wären dann wieder und ebenfalls im Konsens der Community zu klären. Entscheidend dafür ist aber, dass überhaupt feststellbar ist, wo und wie sich eine ethische Überschreitung vollzieht. 

Wampum.codes als informationsethisches Vorbild für Open Science?

Inspiriert ist der Wampum-Codes-Ansatz von ihrer Forschung im Bereich indigener ethischer Praxis, die auf dezentrale, konsensuelle und verbindliche Lösungen setzt. Der Ansatz ist auch als Workshop-Programm so eingängig, dass er durchaus auch für Workshops zum Beispiel zu den für Open Access sehr relevanten und oft diskutierten ethischen Implikationen der verschiedenen Abstufungen von Creative Commons-Lizenzen und vielleicht auch weitere ethische Aspekte von Open Access und Open Research geeignet erscheint. Die methodisch sehr strukturierte und auf einen über Szenarien umsetzbaren Verstehens- und Explikationsprozess setzende Herangehensweise bietet sich dafür jedenfalls an.

So gibt es erfahrungsgemäß häufiger im Kontext der auf Nachnutzbarkeit orientierten Forschungsdatenpublikation den Wunsch, bestimmten Nutzungsszenarien, wie beispielsweise die erwähnte militärische Verwertung, auszuschließen. Die Creative Commons-Lizenzen sind dahingehend nicht zureichend differenziert. In entsprechenden Workshops könnten zudem zunächst überhaupt kollaborativ bestimmte Nutzungsszenarien für Open-Access-Inhalte identifiziert werden, die den Publizierenden möglicherweise so noch gar nicht bewusst waren.

Insofern ist der Wampum.codes-Ansatz auch für uns von Open-Access-Brandenburg eine schöne Inspiration, die wir hinsichtlich unserer eigenen kommenden Workshops und denkbar auch als Good-Practice-Idee für Open Science spezifische Workshops weiter im Blick behalten. Von der Grundausrichtung der Partizipativität, Kommunikationsklarheit, Communityorientierung und ethischer Selbstbestimmung passt er auf jeden Fall hervorragend zu unserem Verständnis von Openness.