01.11.2023 | Team OA Brandenburg
Überaus passend war Berlin 2023 Gastgeberin der Open-Access-Tage, der Leitkonferenz zum Thema Open Access im deutschsprachigen Raum, denn wir feiern dieses Jahr auch den 20. Jahrestag des Leitdokuments der Open-Access-Bewegung, der sogenannten Berliner Erklärung. Oder wie sie in der Langform heißt: Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen. Zu ihrem Erscheinen im Herbst 2023 schrieb die taz: „Seit einiger Zeit geistert ein neuer Anglizismus durch die Hallen der Wissenschaft: ‘Open Access’.“ Und als konkrete Musterhalle der Wissenschaft führte die Autorin ein: „Menschenleer sind die asbestsanierten Gänge der Silberlaube an der Freien Universität Berlin in den Semesterferien.“
Der Kreis schloss sich also in gewisser Weise, wobei sich die Gänge der Freien Universität im Herbst 2023 nun wirklich nicht menschenleer, sondern ge- und erfüllt mit Open-Access-Professionals präsentierten. Wohl kaum jemand hätte 2003 gedacht, dass aus dem „Anglizismus“ sogar eine Art Berufsfeld würde. Und dass dieser Anglizismus im Grußwort der Berliner Wissenschaftssenatorin, Ina Czyborra, nicht nur wieder und wieder zu hören ist, sondern sogar für Berlin einen Folgeanglizismus zur Hand bekommt: Open Research. Was im Prinzip sogar der treffendere, da integrativere Begriff für all das ist, was die Berliner Erklärung anstrebt:
„Open Acces-Veröffentlichungen umfassen originäre wissenschaftliche Forschungsergebnisse ebenso wie Ursprungsdaten, Metadaten, Quellenmaterial, digitale Darstellungen von Bild- und Graphik-Material und wissenschaftliches Material in multimedialer Form.”
Der Geist der Berliner Erklärung und ihrer Erwartung an ein Selbstverständnis im wissenschaftlichen Handeln spiegelte sich auch in einem der Open-Access-Trendthemen des Jahres: das wissenschaftsgeleitete Publizieren bzw. Scholar-led Publishing. Es steht für die Idee, dass, die richtigen institutionellen Strukturen vorausgesetzt, wissenschaftliche Communitys die gesamte Kette des wissenschaftlichen Publizierens selbst steuern, also ausdrücklich ohne dezidiert kommerzielle Akteure wie gewinnorientierte Großverlage.
Bei „wissenschaftsgeleitet“ denkt man gleich an Diamond Open Access und Open Journal Systems (OJS) und die Kolleg*innen Dulip Withanage, Marco Tullney, Xenia van Edig (TIB Hannover), Josephine Hartwig, Elfi Hesse (SLUB Dresden) und Michael Kleineberg, Ronald Steffen (FU Berlin) bedienten diese Assoziationen mit neuen Einblicken durch Werkstatt- und Erfahrungsberichten aus ihren Einrichtungen. Marcel Wrzesinski vom HIIG hatte zudem eine Delphi-Studie zum wissenschaftsgeleiteten Publizieren im Angebot, in der es heißt, „dass ein Großteil der Befragten die OA-Transformation für gescheitert hält, dies aber durchaus unterschiedlich begründet“ würde. Komplexe Haushaltslagen, Steuerungsproblematiken sowie die Frage der Verantwortung sind Bremsklötze der Open-Access-Transformation, die eigentlich von allen gewollt sei. So steht am Ende, was auch die Kolleg*innenen aus der Zeitschriftensparte von Berlin University Publishing betonten: „Erst in der Praxis zeigen sich die konkreten Herausforderungen und formen sich realistische Ansprüche für die Zukunft.“
Das Visionäre kam bei allem Realismus dennoch nicht zu kurz, wurde aber insbesondere durch die drei herausragenden Keynotes bedient. Ob der Verknüpfung der Themenfelder Pilze und ihrer Anwendung in Design und Architektur der Zukunft mit offener Wissenschaftskommunikation, stach besonders der Vortrag von Vera Meyer, Lehrstuhlinhaberin für Molekulare und angewandte Mikrobiologie an der TU Berlin, heraus und hinterließ die schwungvoll-positivste Stimmung. Wer dem Vortrag beiwohnte, wird Pilze nun mit anderen Augen betrachten. Griffiger und hoffnungsvoller als in ihren Forschungsbeispielen lassen sich die Effekte offener Wissenschaftspraxis vermutlich nicht fassen – wir müssen sie nur leben.
Wie schwierig sich das gestaltet und welche wissenschaftsstrukturellen Unsicherheiten dabei eine Rolle spielen, erläuterte Amrei Bahr in der Abschluss-Keynote. Unterschiedliche Machtkonstellationen, Dauerbefristungen, der Druck in Topjournals, mit Top-APC zu publizieren, um auf der Karriereleiter voranzukommen oder überhaupt im System bleiben zu können, sind Facetten, die alle Appelle an mehr Open Access und Open Science im wissenschaftlichen Handeln offen oder verdeckt begleiten. Man kann und wird nur offen publizieren, wenn man sich sicher sein kann, keine Nachteile davonzutragen. In vielen Disziplinen und Wissenschaftssettings ist dieser leider keine Norm – es gibt also auch auf dieser Ebene noch viel zu tun.
Gleiches gilt für das Berufsbild der nicht unbedingt forschenden Zunft der Bibliotheksmitarbeitenden. Open Access mit all seiner Komplexität zwischen Wissenschaftskulturen, rechtlichen Rahmenbedingungen, Kostenmodellen, Reportings, technischen Infrastrukturen und diversen Standards ist nicht gerade etwas, was man mit einer Bibliotheksausbildung vollumfänglich vermittelt bekommt. Dies gilt insbesondere für die sehr komplexe strategische Kommunikation zwischen den diversen Stakeholdern bis hinauf in die Hochschulleitungen. Diese Skills lernt man auch nicht einfach nebenbei im Training-on-the-Job, wie unter anderem die Keynote von Henriette Rösch (UB Leipzig) verdeutlichte. Nicht wenige der Zuhörenden dürften allerdings genau diesen Weg gegangen sein. Aber auch sie wissen, dass das nicht optimal ist. Wichtig wäre also, die Anforderungen an die „Publikationsmanager*in“ auch direkt in die Lehre und den Aspekt der strategischen Kommunikation am besten ganz prominent ins Curriculum zu bringen.
Für alle, die bei den ausgebuchten Open-Access-Tagen nicht dabei sein konnten, bieten sich die auch auf Zenodo bereitgestellten Poster der Konferenz für eine Überblicksbetrachtung an. Drei von ihnen wurden prämiert: Tobias Steiner von Thoth Open Metadata überzeugte mit seinen altägyptischen Designanklängen das Publikum in Sachen anmutiger Gestaltung: Thoth Open Metadata Management and Distribution Service for OA Books, https://doi.org/10.5281/zenodo.8273948). Diana Slawig von der Technischen Informationsbibliothek Hannover (TIB) wurde mit ihrem Blick ins Nähkästchen der Publikationsberatung beste Präsentatorin der Postersession: Warum hat mir das keiner gesagt? https://doi.org/10.5281/zenodo.8398041. Und Colin Sippls (Universität Regensburg) Pitch zur Kostentransparenz in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) sorgte die für die Teilnehmenden anregendste Lernkurve: openCost: Transparenz von Publikationskosten durch neue Funktionen in der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) https://doi.org/10.5281/zenodo.8326031
Die anderen, nicht weniger sehenswerten Poster und Präsentationen gibt es in der Zenodo-Materialsammlung der Open-Access-Tage. Das ist nicht nur im Sinne von offener Wissenschaft oder offener Fachkommunikation, sondern obendrein wirklich hilfreich. Denn wie bei Tagungen üblich sammelt man vor allem Stichworte und Eindrücke ein, bis einen die Welle der Informationsüberlastung überspült und man nur mit den drei Keywords, die einen selbst am meisten beschäftigen, zur U-Bahn taumelt, um im Abschlussplausch mit Kolleg*innen vorrangig die eigene Erschöpfung zu besprechen. Dank der Folien und Poster lassen sich die Open-Access-Themen des Jahres 2023 ganz in Ruhe nacharbeiten. Spätestens bis zum September 2024 sollte man damit durch sein. Denn dann geht es nach Köln zur nächsten Auflage der Open-Access-Tage.