07.06.2023 | Ben Kaden
Mitte der 2010er Jahren befasste ich mich an der Humboldt-Universität in einem kleinen DFG-Projekt mit Zukunftsformen des geisteswissenschaftlichen Publizieren. Zu dessen Facetten zählte neben dem vernetzenden Enhanced Publishing und der Publikation von Forschungsmaterialien oder Forschungsdaten das offene Publizieren unter Open-Access-Bedingungen. Auch deshalb kann ich gut die Einstellungsmuster zu Open Access vor sieben oder acht Jahren und heute vergleichen. Festzustellen ist dabei eines: In Sachen Open Access hat sich vieles in Richtung des Ansatzes bewegt. Das zeigt sich auch bei der Wiederlektüre der in der Studie des Projektes erhobenen Aussagen zu Open Access in den Geisteswissenschaften. Nehmen wir beispielsweise diese:
“In den Geisteswissenschaften ist Open Access derzeit ein sehr vernachlässigtes Thema. Die Gründe dafür sind unter anderem betriebswirtschaftlicher Natur. Es wird in den Geisteswissenschaften weniger in Zeitschriften und mehr in Büchern publiziert. Open Access ist aber traditionell ein Modell für Zeitschriften. Erst in der jüngeren Vergangenheit begannen erste Verlage über Open-Access-Bücher als Geschäftsmodell nachzudenken.” https://www2.hu-berlin.de/fupush/statement-finder/#/statement/2032
Betrachtet man heute die Webseiten der einschlägigen Verlage, findet man nahezu durchweg einen Menüpunkt “Open Access” und Angebote entsprechender Publikationsmöglichkeiten. Diese mögen unterschiedlich reif und praktikabel sein. Aber für 2023 bleibt zu konstatieren, dass Open Access für geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Monografien eine völlig normale Veröffentlichungsoption ist. Die zu Zeiten des benannten DFG-Projektes noch aller Orten wahrzunehmende Skepsis, ob Open Access für Bücher überhaupt auf Akzeptanz in der Community stoßen könnte und dass gleichzeitig erscheinende Hybridausgaben – also eine Druckausgabe für die Regale und den Buchhandel und eine digitale Open-Access-Fassung – bestenfalls Einhörner sind, scheint sich weitgehend auzuflösen. Besonders deutlich wird dies für uns in der täglichen Arbeit mit dem Publikationsfonds für Open-Access-Monografien des Landes Brandenburg.
Es gibt den aus einem populären Film auch in die wissenschaftliche Infrastrukturentwicklung eingesickerten Leitspruch “If You Build It, Will They Come?” Als wir mit dem Publikationsfonds begannen, stand auch diese Frage im Raum: Besteht überhaupt genügend Nachfrage nach einer solchen Förderung? Denn vielen und auch uns lag noch die zur Traditionsbehauptung gewordene Annahme im Ohr, dass sich bestimmte Disziplinen, nämlich die so genannten Buchwissenschaften, prinzipiell nicht für Open Access erwärmen lassen. Bereits die erste öffentliche Veranstaltung zum Publikationsfonds und seiner Fördereffekten vor etwa einem Jahr deutete an, dass wir uns an dieser Stelle irren. Nach dem ersten vollen Förderjahr stehen wir, wie auch die Veranstaltung am 02. Juni unterstrich, vor einem ganz anderen Problem: Wie kann die Nachfrage bedient werden? Wobei die konkrete Nachfrage noch eine weitere Vorannahme relativiert: Es sind nicht nur die drei großen Universitäten des Landes, aus denen die Anträge auf eine Open-Access-Förderung eintreffen. Auch die Fach- und anderen Hochschulen des Landes sind lebendige Produktionsorte Open-Access-affiner Monografien. Zu den wirklich schönen Erkenntnissen aus nun anderhalb Jahren Monografienfonds zählt, dass das Angebot wirklich sämtliche Einrichtungen des Adressatenkreises erreicht.
Dass das gelingt, liegt insbesondere an den Schlüsselpersonen, also den Open-Access-Beauftragten in den Hochschulbibliotheken. Diese sind einerseits Vermittler*innen des Angebots und Ansprechpersonen für die Publizierenden in den jeweiligen Häusern. Sie sind andererseits auch Mitgestaltende des Publikationsfonds und über eine Arbeitsgruppe unmittelbar in die Steuerung eingebunden. Offenheit bedeutet auch Mitgestaltung. Der partizipative Ansatz des Publikationsfonds ist vermutlich ein weiterer Baustein seiner hohen Akzeptanz und seines Erfolges und zugleich ein Beleg, dass den Kulturwandel Richtung Openness unterstützende Maßnahmen idealerweise gleich selbst open sind.
Dass dieser Schritt nicht nur erfolgt, weil es eben geht, sondern dass es auch aus der wissenschaftlichen Kommunikationslogik überzeugende Gründe gibt, Open Access zu publizieren, zeigten die drei Fallbeispiele der Buchgespräche mit Autor*innen buchstäblich zwischen Potsdam und Verona.
Verona kommt deshalb ins Spiel, weil Wissenschaft per se international ist und daher auch Co-Autor- oder -herausgeber*innenschaften über Einrichtungen hinweg erfolgen. Zum Beispiel indem Forschende der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und die Università di Verona zueinander finden, um einen Band über “Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielstimmigkeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur” zu erstellen. Das klingt nach faszinierender, im Fokus auf “Wechselwirkungen mit Problemen der Identitätssuche und mehrfacher kultureller Zugehörigkeit” sehr gegenwärtiger Literaturwissenschaft und genau das ist es auch.
Im Gespräch wurde deutlich, dass die Universität Verona die Berliner Erklärung zwar deutlich früher als die Viadrina unterschrieb, nämlich bereits 2005. Das ändert aber nichts daran, dass nun beide gemeinsam 2023 auf Augenhöhe Open Access publizieren. Für die Universität an der Oder wirkte der Publikationsfonds in gewisser Weise auch als Open-Access-Beschleuniger und in diesem Fall auch -Ermöglicher. Denn er eröffnete einen vergleichsweise unkomplizierten Weg zur Open-Access-Finanzierung des im Herbst erscheinenden Titels und sichert zugleich von vornherein eine breite internationale Rezipierbarkeit ab. Der Schlüssel zum Erfolg ist in diesem Fall nicht allein das Geld, sondern inbesondere auch der einfache Antragsprozess und die verlässliche Abwicklung.
Der zweite Titel, Alexander Scheidts ebenfalls im Herbst erscheinende Arbeit zu einer “Typentheorie der Erklärung” oder eingängiger: “Wie Neugier das wissenschaftliche Denken formt” scheint sogar noch mehr ein Kind des Publikationsfonds zu sein. Denn wenngleich eine Reihe von Verlagen Interesse an Thema und Titel hatten, blieb die Frage der Kosten eine entscheidende Hürde. Dass diese mit Hilfe des Fonds genommen werden konnte, dankte nicht nur der Autor, sondern auch das Publikum. Denn bereits die kurze inhaltliche Annäherung an den Gegenstand der “Warum-Frage” und den Bezug auf ein tieferes “Verständnis der Warum-Fragen in der frühen Kindheit” in der Präsentation war so anschaulich und mitreißend, dass aus dem Publikum prompt Vorbestellungen für die Printausgabe angekündigt wurden. Was vermutlich wiederum die Vertreterin des Verlags, die ebenfalls zugegen war, freute. Vielleicht verkauft sich nicht jeder wissenschaftliche Open-Access-Titel gleichermaßen gut in die Publikumsbreite. Aber mit “Warum-Frage und Typentheorie der Erklärung” dürfte Transcript einen Titel im Programm haben, der über die Grenzen einer bestimmten Community hinaus Aufmerksamkeit erzeugen dürfte.
Auch die noch 2014 im Future-Publications-Projekt festgestellte Sorge
“[In den Geisteswissenschaften in Deutschland] haben wir kleine, mittelständische Verlage, die ganz andere Gewinnspannen haben und sich durch die Open-Access-Debatte in ihrer Existenz bedroht fühlen.” https://www2.hu-berlin.de/fupush/statement-finder/#/statement/262
dürfte sich wahrscheinlich früher oder später komplett wegrelativieren.
Diese Reichweite war wiederum für Alexander Scheidt der Anreiz, direkt auf Open Access zu gehen: Interdisziplinäre Bücher profitieren erheblich von einer unmittelbaren Zugänglichkeit und werden so vom Erscheinungstag an sichtbarer.
Sichtbarkeit, nur etwas anders gelagert, war schließlich auch das Anliegen, das Ulrike Gerhardt und ihren Verlag, Archive Books, für Open Access motivierte. Die wie auch die beiden anderen vorgestellten Titel für den Herbst angekündigte Analyse von Videokunst im Kontext von insbesondere postsozialistischen Erinnerungskulturen, soll die Arbeiten der behandelten Künstler*innen nicht allein als Analysematerial betrachten, sondern auch für die Künstler*innen und ein möglichst weites Publikum als Punkt für weiterführende Auseinandersetzungen dienen. Das passt optimal ins Programm des progressiven Berliner Verlags, der bewusst dekoloniale und andere gesellschaftsgestaltende Konzepte sichtbar zu machen sucht. Open Access ist dabei die Möglichkeit, die entsprechenden Inhalte und bald auch das Buch von Ulrike Gerhardt für Communities und in Weltregionen sichtbar zu machen, die nur bedingt Zugang zu den Bestellmöglichkeiten des deutschen Buchhandels hätten. Aus dem Open-Access-Status ergibt sich also eine besonders inkludierende Form des Zugangs und diskursiven Teilhabe sowie eines gezielten Austausch zwischen akademischen und außerakademischen Wissenskulturen. Hier zirkuliert Wissen in einer denkbar offenen Form.
Herausforderungen bleiben offenkundig und wenn es um Kunst geht, dann rücken urheberrechtliche und Lizenzierungsfragen besonders deutlich in die Gleichung. Solche Publikationsprojekte sind immer auch zugleich Wagnis sowie Erfahrungs- und damit Kompetenzverstärker. Das gilt für alle Beteiligten: die Autor*innen, die vermittelnden Open Access Professionals in den Hochschulen, die Verlage, uns als koordinierende Vernetzungs- und Kompetenzstelle sowie für die Wissenschaftspolitik, die sehr genau beobachtet, wie wirksam und nachhaltig diese Investition in die Brandenburger Wissenschaftslandschaft ist. Die Reihe der Cover der erschienenen und kommenden geförderten Publikationen dürfte letztere sehr beruhigen. Alle anderen freuen sich jedes Mal, wenn es in unserem Newsblog heißt: Neu und Open Access. Und wir freuen uns ganz besonders, weil wirklich jeder Titel ein ganz eigener, oft sehr aufregender Fall ist, den wir aus der ersten Reihe nicht nur wahrnehmen, sondern, Open Access sei dank, auch direkt anlesen dürfen. Was für ein schönes Privileg und wie schön, es sofort unmittelbar teilen zu können.
Alle, die der Veranstaltung vor Ort oder auf Zoom beiwohnten, werden einer dritten Aussage aus dem Future-Publications-Projekt unumwunden zustimmen:
“Dass Open Access auch in den Geisteswissenschaften kommt, wird sich nicht vermeiden lassen.” – https://www2.hu-berlin.de/fupush/statement-finder/#/statement/165
Und zwar, wie an den Fallbeispielen deutlich wurden, aus verschiedenen und jeweils sehr überzeugenden Gründen.