28.10.2022 | Ben Kaden
Eine Notiz zu: Georg Fischer: Im Ringen um Erkenntnis und Anerkennung. Wie Rechtswissenschaftler*innen das eigene akademische Publizieren im Zuge von Open Access sehen. In: Recht und Zugang. 1/2022, S. 19-49. DOI: 10.5771/2699-1284-2022-1-19
“Daneben geben einige Befragte zu bedenken, dass Blogbeiträge als wertvolle Ergänzung zu etablierten Publikationsformen dienen können, etwa um besser sichtbare, frei zugängliche Kurzfassungen längerer Texte zu platzieren und sich damit auch an ein nicht-juristisches Publikum zu widmen.” (S. 43)
Was Georg Fischer hier wie in einer Anlehnung an die frühen Überlegungen zur Wissenschaftsvermittlung aus dem Web 2.0 beschreibt, lässt sich abstrakt auch als Idee hinter den OA-Takeaways in diesem Blog sehen. Wir wollen zumindest hier und da Inhalte, die uns für unsere Open-Access-Community in Brandenburg und gern auch darüber hinaus relevant erscheinen, in einer, nun, möglichst knappen Form abbilden. Das ist vor allem auch aus arbeitspraktischen Gründen weniger klassisches Abstracting, sondern mehr eine Dokumentation oder Lektürebeschreibung der Texte, die wir selbst lesen.
Heute ist es für mich ein sehr interessanter Aufsatz des Soziologen und Verfassungsblog-Bloggers Georg Fischer, der aus dessen Forschung im BMBF-Projekt “Offener Zugang zu Öffentlichen Recht” (OZOR) hervorging. Er beschäftigt sich mit den Open-Access-Einstellungen in der deutschen Rechtswissenschaft. Das ist als fachwissenschaftliche Fallstudie hochinteressant und dies besonders deshalb, weil, wie auch die Studie zeigt, die Rechtswissenschaft sehr traditionell buch- und druckfokussiert ist, was sie mit nicht wenigen geisteswissenschaftlichen Disziplinen teilt. Dies wiederum führt bereits medienformal oft zu einer gewissen Hemmung Open Access gegenüber, bisweilen aber zu einem juristischen Widerstand. Besonders aktenkundig ist dies geworden durch eine Klage von Konstanzer Jurist*innen gegen das 2015 im Baden-Württembergeschen Landeshochschulgesetz verankerte Zweitveröffentlichungspflicht (BW § 44 LHG Abs. 6). (Siehe dazu auch: Thomas Hartmann, Zwang zum Open Access-Publizieren? Der rechtliche Präzedenzfall ist schon da!. In: LIBREAS. Library Ideas, 32 (2017). DOI: 10.18452/19097 )
Die Lage im Kommunikationsfeld ist freilich noch komplexer und die Lektüre des Aufsatzes uneingeschränkt empfehlenswert.
Hier können und sollen nur knapp ein paar Takeaways und Gedanken notiert werden. Aufbauend auf der Analyse einer Reihe von im Jahr 2021 durchgeführten Interviews mit Rechtswissenschaftler*innen beschreibt der Autor das Verhältnis von Open Access und der rechtswissenschaftlichen Publikationspraxis anhand von sieben “Strukturmomenten”, die das Publizieren in diesem disziplinären Umfeld prägen. Dabei ist die übergreifende Frage: Wie werden die Ziele wissenschaftlicher Kommunikation über Veröffentlichungen in dem disziplinären Feld organisiert? Diese Ziele werden definiert als, a) Verkündung von Neuigkeit und b) Reputationsaufbau.
Die Rechtswissenschaften haben, wie auch andere Disziplinen beispielsweise die Medizin, Wirtschaft oder Bibliothekswissenschaft, eine Durchlässigkeit zwischen einem wissenschaftlichen Feld und einem der Praxis, in diesem Fall also Rechtspraxis. Die Wirkung des Publizierten soll sich bewusst nach außen in einen praktischen Expertisebereich entfalten. Die Wissenschaft gewinnt aus diesem wiederum ihre empirische Grundlage. Das verbindende Element ist, so der Autor, die besondere Sprache, die eine diskursive Durchlässigkeit absichert. Lesende rechtswissenschaftlicher Literatur sind nicht nur andere Rechtswissenschaftler*innen sondern umfassen auch eine umfangreiche Leserschaft in der Rechtspraxis. Die Publikationen zielen daher nicht nur auf eine wissenschaftliche Community, sondern auf extrawissenschaftliche Leser*innen. Das prägt nicht nur die Absatzmodelle, sondern ermöglicht auch hier und da Honorare, was in anderen Disziplinen nahezu gar nicht vorkommt. Inwiefern dies auch für Qualifikationsschriften betrifft (siehe „Zwei-Bücher-Weg“ und „Druckkostenzuschuss“), ist schwer zu beurteilen. An anderer Stelle wird eine Aussage zitiert, die betont, dass Verlage aufgrund der Finanzierung über die Druckkostenzuschüsse sich „nicht mehr darum scheren [müssen], dass irgendein […] Exemplar […] auch verkauft wird.“ (S. 40)
Bemerkenswert und auch für die weiteren „Strukturmomente“ relevant ist der Aspekt der Qualitätssicherung. In Deutschland bzw. in der deutschen Rechtswissenschaft scheint dieser primär an feldimmanente Reputation geknüpft, was dazu führt, dass ein Peer-Review-Verfahren nahezu nicht existiert.
Der Anspruch Neuigkeit bzw. Innovation prägt selbstverständlich auch die rechtswissenschaftliche Forschung. Das Publizieren als Praxis folgt aber sehr traditionsorientiert in einer zitierten “Fixierung auf die Monografie und das Buch” (S. 31), die sich auch in einer später separat betrachteten Präferenz für das Haptische spiegelt. Wenigstens für eine bestimmte Generation der Rechtswissenschaft scheinen digitale Publikationen “geradezu inexistent” (S. 31), werden also auch nicht rezipiert und damit nicht einmal potentiell über eine Zitation anerkannt.
Der Verlagsname gilt in dieser Gemengelage als maßgebliches Qualitätszeichen und steht für Verlässlichkeit. Namen etablierter Herausgeber*innen verstärken diesen Effekt. Durch diese produktionsformale Rahmung werden die Existenz und die Relevanz einer Publikation weitgehend signalisiert und abgesichert. Neue Ansätze (siehe „Alternative Publikationsformen“) werden entsprechend wenig wahrgenommen, laufen außerhalb des karriererelevanten Kerndiskurses des Feldes und haben es überhaupt schwer, Geltung zu erlangen.
Die Dissertation und die Habilitation sind die obligatorischen Bücher, die es braucht, um in der Rechtwissenschaft und in zahlreichen anderen Buch orientierten Titeln nicht nur eine akademische Karriere zu machen, sondern auch als vollwertiges Mitglied der Kommunikationsgemeinschaft anerkannt zu werden.
Mit der Dissertation setzen die Publizierenden ein Zeichen, in dem sie “erste Alleinstellungsmerkmale in ihrer Disziplin” (S. 33) sichtbar machen. Das nächste Buch wirkt als Stärkung des Status. Es handelt sich bei den beiden Büchern um nahezu unhintergehbare Meilensteine auf dem Weg zur Professur.
Die Form des gedruckten Buches wird nach wie vor als selbstverständlich herausgesetzt. Die Wahl des Verlags und der Reihe, in der eine solche Arbeit erscheint, addieren (oder subtrahieren) Reputationseffekte zur zunächst formalen Leistung einer begutachteten und verteidigten Qualifikationsschrift und ihrer inhaltlichen Güte an sich.
Alle karriereorientierten Rechtswissenschafter*innen müssen fast unausweichlich in diesem traditionell verfestigten Rahmen publizieren. Open Access ist dabei aus verschiedenen Gründen bestenfalls als kostenpflichtiger Zusatz (siehe „Druckkostenzuschuss“) denkbar, erfordert also zusätzlichen Aufwand, ohne aktuell nennenswerte Effekte für die Karriereentwicklung zu haben.
Dass das gedruckte Buch also die Primärausgabeform in der Rechtswissenschaft darstellt, überrascht daher wenig. Interessant ist dabei der Einsatz von gedruckten Exemplaren zur, wenn man so will, performativen Beziehungspflege:
“Bücher haben den Vorteil, dass man Exemplare davon, etwa mit persönlicher Widmung versehen und damit zu personifizierten Unikaten verwandelt, an Verwandte oder einflussreiche Leser*innen verschenken kann, was in den Interviews teilweise als wichtige akademische Praxis betont wird.” (S. 35)
Die Idee der Reihe wirkt darüber hinaus auch physisch in Gestalt der Objektreihung: Das eigene Buch wird in der Regalaufstellung neben denen der etablierten Vorgänger*innen eingereiht, was einen greif- und unmittelbaren sichtbaren Anschluss an die entsprechende Tradition verkörpert.
Der Reputationseffekt wirkt in zwei Richtungen: Die Autor*innen (oder Herausgebenden) profitieren von der Reputation eines Verlags und der Verlag von der Reputation der Autor*innen (oder Herausgebenden).
Für die meist reputationsarmen Nachwuchsforschenden ergibt sich aus Karrieresicht (siehe “Zwei-Bücher-Weg”) der Druck, in einem bestimmten Verlag zu erscheinen und sich damit zu etablieren. Für die Verlage ergibt sich damit zusätzlich eine Grundlage für das Modell der Druckkostenzuschüsse.
Auch in den Rechtswissenschaften wirken erwartungsgemäß Zitierungen reputationssteigernd. Der Effekt überträgt sich auch auf die Verlage. Viel zitierte Publikationen eines Verlags gelten als Qualitätsbeweis und werden anscheinend auch in der Selbstdarstellung entsprechend eingesetzt.
Betrachtet man diese erstaunlich stabilen Wirkungszyklen vor einem Zeithorizont, wird klar, dass sich neue Verlage, unabhängig ob Open Access oder nicht, aufgrund dieser Traditionalität vermutlich nicht ohne Weiteres etablieren könnten. Autor*innen sind ebenfalls fast unausweichlich in diese Struktur gezwungen.
Das Interessante an Druckkostenzuschüssen ist, dass sie die Idee der Publikationsgebühren, wenn auch unter einer anderen Legitimation, vorwegzunehmen scheinen. Ihre Entrichtung wird andererseits aber auch, wie die Studie zeigt (Zitat S. 39), tatsächlich an den Druck und die angestrebte möglichst hohe Druckqualität gebunden. Dies unterstreicht nochmals die besondere Rolle des physischen, ansprechenden Objekts als Qualitätsauszeichnung, das in gewisser Weise als Wertschätzung und Ausdruck der inhaltlichen Qualität interpretiert zu werden scheint.
Im Kontext von Karrieren werden diese Zuschüsse offenbar auch schlicht als notwendige Investitionen in die eigene Karriere gesehen, über die sich diese Einmalkosten (pro Buch) später amortisieren werden.
Andere Aspekte der buchbezogenen Qualitätssicherung, wie beispielsweise ein Lektorat, scheinen auch bei juristischen Fachverlagen eher selten zu sein. (ebd.)
Aus Sicht von Open Access ist die Wahrnehmung der Forderung von Verlagen, zusätzlich zum Druckkostenzuschuss weitere Finanzierungen mitbringen zu müssen, erheblich. Die Studie belegt eine teilweise Verdopplung der Zuschusserwartung der Verlage, die gerade für Nachwuchsautor*innen schwer verhandelbar ist. (S. 41)
Dies könnte die Rolle von Publikationsfonds wie dem des Landes Brandenburg noch einmal stärker betonen: Hier gibt es klare und zentral abgestimmte Kriterien für eine entsprechende Förderung, die bisher von vielen Verlagen umstandslos akzeptiert werden. Solche Open-Access-Fonds können helfen, exzessive Zuschusserwartungen seitens der Verlage zu deckeln. Zudem ermöglichen sie eine Kostentransparenz, die Publizierenden einen verlässlichen Orientierungsrahmen für Open-Access-Kosten bietet.
Interessanterweise etabliert sich in den Rechtswissenschaften und angrenzenden Bereichen der Fachkommunikation eine sehr lebendige digitale Publikationskultur mit Blogs und auch Open-Access-Zeitschriften, deren Existenz verschieden interpretiert werden kann. Einerseits lässt sie sich als Vortasten in neue und offene Publikations- und Kommunikationsformen sehen, das aber die traditionellen und karriereentscheidenden Praxen weitgehend unangetastet lässt. Sie wären damit eine Art Spielweise.
Die andere Lesart könnte in Richtung einer nachhaltig transformierenden Alternativstruktur weisen.
Übergreifend lässt sich feststellen, dass diese Publikationsformen einen vorhandenen Bedarf aufgreifen, der von den traditionellen Formen nicht bedient wird. Dazu gehören ebenso die Metakommunikation und das Hinweisen auf beispielsweise für die Community relevante Publikationen und Ergebnisse wie die Möglichkeit, zeitnah und dann auch durchaus diskursiv auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Auch die Kommunikation und der Diskurs mit einem nicht rechtswissenschaftlichen Publikum, also de facto Wissenschaftsvermittlung, spielen eine Rolle.
Schließlich ist das Element der eigenverantwortlichen Publikations- und Äußerungsmöglichkeit zu berücksichtigen: Ein Text in einem Weblog muss formal nicht an den Erwartungen und Anforderungen der traditionellen Publikations- und damit Reihen- und Verlagsstrukturen ausgerichtet sein.
Um diese Potentiale und auch die des Open Access nutzen zu können, braucht es freilich Mut und publikationsstrukturelle Experimentierfreude. Diese wird jedoch nicht gerade gefördert in einer Struktur, die “beim Publizieren Konformität eher [zu] belohnen, Devianz dagegen eher [zu] bestrafen” scheint. (S. 45) Das Stichwort “Fehlervermeidung” (ebd.) ist kennzeichnend: Die meisten karriereorientierten Nachwuchsforschenden werden es nicht riskieren wollen, sich durch einen ungewohnten und damit hinsichtlich des Ergebnisses ungewissen Publikationsansatz etwas zu verbauen.
Im Prinzip fehlen Vorbilder von in der Fachkultur weithin akzeptierten Akteuren, die sich gerade mit alternativen und neuen Kommunikationsstrategien erfolgreich etablieren konnten. Die Stellung der zahlreichen und teils sehr erfolgreichen Weblogs aus der Rechtspraxis und ihr Verhältnis zu rechtswissenschaftlichen Wahrnehmungen inklusive einer möglichen Transformationswirkung wurde in der Studie nicht beleuchtet, wäre aber eine interessante Forschungsfrage.
Wie sich zeigt, spielen traditionelle Muster der wissenschaftlichen Selbstorganisation und -reproduktion eine zentrale Rolle bei der Erklärung, warum Open Access in diesem Feld nicht so zündet, wie man es von außen vermuten würde. Ein generationaler Effekt ist daher nur begrenzt zu erwarten, da gerade die noch reputationsarmen Nachwuchsforschenden diesbezüglich vorrangig risikoavers agieren dürften. Oder anders herum: Nur diejenigen werden sich mutmaßlich durchsetzen und reputationsstark sein, die sich publikationstraditionell konform verhalten.
Impulse, sofern sie nicht durch externen Druck wie Hochschulgesetze oder Fördervorgaben gesetzt werden, müssten also von etablierten, reputationsstarken Akteuren kommen. Dies könnten angesichts der Besonderheiten der rechtswissenschaftlichen Publikationskultur auch die vier dominanten Verlage der deutschen Rechtswissenschaft – C.H. Beck, Mohr Siebeck, Nomos, Duncker & Humblot – sein. Deren Motivation wäre dabei jedoch vermutlich weniger ideell als in einer Diversifizierung ihrer Finanzierungsmodelle begründet. Ansätze zeigen sich bereits hier und da im Angebot optionalen Open-Access-Ausgaben gegen Gebühr.
Ein letzter Aspekt ist unbedingt noch herauszuheben. Es könnten nämlich auch externe technisch-infrastrukturelle Wirkungen sein, die Open Access und digitales Publizieren in den Rechtswissenschaften und anderen Buchdisziplinen stärken. In dem Umfang, in dem Printpublikationen von datenstrukturell aufbereiteten digitalen Publikationsformen verdrängt werden, etablieren sich neue übergreifende Publikationskonventionen. Weder die rechtswissenschaftlichen Kommunikationskulturen noch die Verlage werden sich auf Dauer in einem Sonderstatus einrichten können und wollen. Das könnte beispielsweise dahin führen, dass früher oder später das gedruckte Buch die extra zu finanzierende Optionalform ist und der Verlag einen Standardzuschuss für die entsprechende Publikation in einer Open-Access-Reihe aufruft. In einer entsprechenden Rahmenstruktur könnte man sich sogar die Weiterführung der etablierten Reputationsmuster vorstellen. Ob das wünschenswert wäre, ist ein Thema für eine andere Diskussion.