19.12.2023 | Ben Kaden
zu
Mark Schroeder: Trials and Triumphs of University-Funded Open-Access Publishing: New Leadership for JESP. In: Journal of Ethics and Social Philosophy. Vol 26 No 2 (2023): Volume XXVI, Issue 2. https://doi.org/10.26556/jesp.v25i3.3083
Ein zentrales Thema im Open-Access-Diskurs im Jahr 2023 war, zumindest im deutschsprachigen Raum, das Thema wissenschaftsgeleitetes Publizieren bzw. scholar-led Publishing. Zur Entwicklung und Akzeptanz solcher Lösungen sind Best-Practice-Beispiele sowie die Erfahrungen von Akteuren, die genau das versuchen, äußerst hilfreich.
In der aktuellen Ausgabe des Journal of Ethics and Social Philosophy wirft Mark Schroeder, Professor für Philosophie an der University of Southern California und Herausgeber der Zeitschrift, einen Blick auf seine Erfahrungen aus neun Jahren mit einem über Hochschulmittel finanzierten Open-Access-Journal für Philosophie zurück. Zum Jahresende wird er die Rolle abgeben. Sein Abschiedseditorial ist bewusst persönlich und etwas lockerer gefasst, führt jedoch eine Reihe von Aspekten auf, die uns auch in vergleichbaren Publikationskontexten begegnen. Daher ist sein Rückblick für uns ein willkommener Anlass, die benannten Erkenntnisse kurz in einem Open-Access-Takeaway zusammenzufassen.
Der Impuls zur Gründung des Journal of Ethics and Social Philosophy im Jahr 2005 entspricht in gewisser Weise den Idealen, wie sie kurz zuvor unter anderem die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen motiviert hatten: Die Verbreitung wissenschaftlicher Inhalte sollte nicht länger über auf Profit ausgerichtete private Unternehmen erfolgen, sondern durch die Hochschulen und ihre Infrastrukturen selbst. Dies würde nicht nur kostengünstiger sein, sondern auch den Zugriff auf die Inhalte für jedermann absichern und die Publikationsvielfalt stärken
Eine erste Lektion war, dass die Gründung eines solchen Journals an sich nicht schwierig ist. Motivation und ein Server reichen bereits. Die Herausforderungen beginnen aber bei der organisatorischen Integration der Publikation in das Verwaltungsgefüge und die komplexen Finanzierungsstrukturen der Hochschulen. Hier ist eine Verbindlichkeit der Leitungsebene erforderlich, um Grundsicherheit zu gewährleisten und die notwendigen Ressourcen für das Journal zu erhalten. Die Überzeugungsarbeit liegt dafür weitgehend bei den Herausgebenden des Journals, wobei das Anliegen Open Access in Konkurrenz mit vielen anderen Themen steht. Die Absicherung des organisationalen Rahmens wird somit zur Daueraufgabe.
Die Mitarbeit in Journals dieser Art könnte als Ehrenamt bezeichnet werden. Die Anforderungen sind jedoch durchweg professionell, nicht zuletzt da die Zeitschrift in Konkurrenz mit anderen Titeln steht. Ihre Qualität muss den Standards der Community vollständig entsprechen. Die Herausforderungen ähneln also denen aller wissenschaftlichen Zeitschriften und reichen von der Motivation der Redakteur*innen und Autor*innen über das Einwerben qualitativ hochwertiger Beiträge bis zur Organisation von Workflows und der Sicherung der Review-Verfahren. Das alles ist sehr zeitintensiv und erfordert auch kommunikatives Fingerspitzengefühl.
Die Anforderungen an die Redakteur*innen sind nicht minder anspruchsvoll. Sie müssen den Review-Prozess, hier sogar triple-blind*, organisieren. Sie müssen sich oft mit weniger als optimalen technischen Möglichkeiten für die Organisation der Publikationsworkflows auseinandersetzen. Publikationstechnische Kompetenzen sind beispielsweise beim Management von DOIs erforderlich. Sie müssen sich um die Archivierung der Inhalte und um technische Besonderheiten von Content-Management-Systemen kümmern. Und sie müssen die fortlaufende Finanzierung im Blick behalten.
Bei institutionell geförderten Publikationen wie JESP ist die Finanzierung immer ein Aspekt mit Fragezeichen. Denn die Einrichtung oder auch der zuständige Dekan können bereitbestellte Ressourcen wieder in Frage stellen. Für dieses Szenario sind Planungen notwendig. Ein zweites erwähntes Szenario ist, dass sich die Zeitschrift so erfolgreich entwickelt, dass die bereitstehenden Mittel zum Betrieb nicht mehr ausreichen. Daher obliegt es den Herausgebenden und Redakteur*innen, die notwendigen Ressourcen fortlaufend einzuwerben und im Zweifel neue Quellen zu identifizieren und anzusprechen.
Auch oder vielleicht gerade weil die Arbeit ehrenamtlich ist, müssen sich die Herausgebenden besonders mit dem Recruiting befassen. Noch schwieriger wird dies offenbar, wenn es um die eigene Rolle geht. Gesucht werden Akteure, die bereit sind, sich auf die Anforderungen einzulassen und vor allem die Open-Access-Idee weiterzuverfolgen sowie die Marke und das Standing der Zeitschrift mindestens auf gleichbleibendem Niveau zu halten.
Die benannten Aspekte spiegeln in etwa wider, was Mark Schroeder auch selbst in den neun Jahren bei JESP übernahm: Er aktualisierte das Layout, organisierte ein neues Content-Management-System, integrierte wissenschaftliche Publikationsstandards wie DOI, optimierte Archivierung und Workflows und vergrößerte das Team der Redakteure. Die Zeitschrift entwickelte sich von anfänglich drei jährlichen Ausgaben mit drei Artikeln zu einem Format mit zehn Ausgaben und mindestens sieben Artikeln. Eine Open-Access-Zeitschrift ist ein agiles und sich stetig entwickelndes Etwas.
Dass sich trotz der benannten permanent hohen Anforderungen Personen finden, die die Herausgeberschaft sehenden Auges und motiviert übernehmen, liegt vermutlich daran, dass solch prinzipiell idealistische Unternehmungen ein Publikum haben, was sich auch als Community bezeichnen lässt. So sind die neuen Herausgebenden, Sarah Paul und Matthew Silverstein, offenbar schon länger Lesende, Publizierende, Begutachtende und im Falle Matthew Silversteins sogar Schriftsetzende. Möglicherweise liegt darin auch die Essenz der Idee des Scholar-led-Publishing als besondere Variante des Open Access: ein gemeinschafts- und damit auch gemeinwohlorientierter Zugang zu allen Produktionsschritten, der zugleich auch eine Verantwortung darstellt. Wissenschaftsgeleitetes Publizieren wäre demnach ein konsequent Community-bezogenes Publizieren, in der alle auf Augenhöhe an einer gemeinsamen Sache arbeiten.
* Triple-Blind-Review bedeutet, dass auch die Herausgeber*innen einer Zeitschrift keine Informationen zu den Einreichenden und ihren Affiliation erhalten. Vgl. auch Stephanie Brodie, André Frainer, Maria Grazia Pennino et al. (2021): Equity in science: advocating for a triple-blind review system. In: Trends in Ecology & Evolution, Vol. 36, Iss. 11, S. 957-959. DOI: 10.1016/j.tree.2021.07.011