09.12.2021 | Anja Zeltner

Ist Open Access wirklich offen? Rückblick auf den 18. OA-Smalltalk

Unter dem Leitthema „Open Access und die Frage der Teilhabe“ fand am 3. Dezember 2021 der 18. Open-Access-Smalltalk mit 15 Beteiligten statt. Diesmal diskutierten wir, wie fair und frei zugänglich Open Access wirklich ist. Ein Ausgangspunkt des Diskussion waren aktuelle Entwicklungen wie die Übernahme des vormals nicht-kommerziellen Unternehmens Knowledge Unlatched durch Wiley. Auch grundsätzliche Entwicklungen im Open Access wie Plan S, Article Processing Charges (APCs) oder Forschungskooperationen zwischen dem Globalen Süden und dem Globalen Norden wurden diskutiert. Hinter all dem steht die Frage, ob die Open-Access-Community das weltweite Zugangsversprechen zu wissenschaftlichen Publikationen, wie es sich beispielsweise in der Berliner Erklärung findet, einlöst. Oder ob bei Open Access mittlerweile Effekte eintreten, die das Open-Access-Publizieren und damit die Partizipation an der wissenschaftlichen Kommunikation für Teile der Wissenschaftswelt sogar zusätzlich erschweren.

Wissenschaftskommunikation keine Einbahnstraße von Nord nach Süd

Die Position der meisten Teilnehmenden ist tatsächlich eine der Skepsis: Zwar sorgt Open Access auch auf dem goldenen Weg, also als über APC-finanzierte Zeitschriftenpublikationen, für einen weltweit freien Zugriff auf die Veröffentlichungen selbst. Jedoch ist das Publizieren in der Wissenschaft keine Einbahnstraße, sondern Kommunikation.

Kern des wissenschaftlichen Publizierens ist bekanntlich die Praxis der wechselseitigen Bezugnahme, also eines aktiven Verarbeitens von Publikationen in neuen Publikationen. Diese Wissenschaftskommunikation wird durch Bezahlschranken wie APCs für Wissenschaftler*innen mit geringen finanziellen Mitteln nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Zwar böten Verlage oft „waiver policies“, also einen Gebührendiscount oder -verzicht an. Ob diese tatsächlich genutzt oder abgerufen würden, ist zumindest intransparent. Aus Sicht der Informationsethik ist so ein Ausgleichssystem auch keine wirklich nachhaltige Lösung. Es gibt in einer Art „ethics washing“ zwar vor, Teilhabe zu fördern, lässt das grundlegende Problem der Hegemonie weniger kommerzieller Verlage aber unangetastet. Diese können die Regeln des Systems beliebig und damit auch entsprechend ihrer Interessen gestalten. Solange es keinen Rechtsanspruch auf „Waiver“ gibt, sind diese Policies eher Schaufensterpolitik, die jederzeit auch wieder zurückgenommen werden können.

Tatsächlich gibt es aber auch etwas nachhaltigere Lösungsansätze. Zwar sei nicht zu vermuten, dass die etablierten Verlage ihre Inhaltsakquise verstärkt auf Länder des Globalen Südens oder Forscher*innen mit unzureichenden Mitteln ausrichteten. Doch auch die Verlage hätten das Problem an sich erkannt und arbeiteten an Geschäftsmodellen, die die Publikationsgebühren nicht (ausschließlich) durch die Autor*innen finanzieren, sondern beispielsweise durch Institutionen oder Konsortien, also übergeordnete institutionelle Mittelgeber. Das Problem der Markt- und Regelkontrolle bleibe dabei jedoch erhalten. Wirksamer seien also vermutlich Initiativen direkt aus den jeweiligen Regionen, wie beispielsweise scielo.org zeigen würde.

English als weitere Barriere?

Diese Initiativen adressieren auch ein weiteres Problem des globalen, kommerziellen wissenschaftlichen Publizierens, nämlich die Verengung der Publikationssprachen auf eine Art „International English“. Das ist nicht zuletzt aus Sicht der Dekolonisierung von Wissenschaft relevant. Zudem werden bei einem Peer Review mutmaßlich Autor*innen bevorzugt, die beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft oder ihrem Bildungsweg ihre primären Sprachkenntnisse in englischsprachigen Umgebungen erworben haben. Dies zementiert bestehende Ungleichheiten weiter beziehungsweise fordert von allen anderen Autor*innen eine zusätzliche, nämlich sprachliche Qualifikationsleistung.

Mittlerweile, so ein Erfahrungswert, erwarten viele Verlage bereits bei der Einreichung in den Review-Prozess eine druckreife Qualität. Viele nicht-muttersprachliche Autor*innen können diese ohne professionelles Korrektorat nicht erreichen. Ein solches allerdings und stellt somit eine weitere Barriere für finanzmittelschwache Autor*innen dar. An diesem Punkt zeigen sich die Teilnehmer*innen einig, dass Lektorat und Korrektorat eigentlich zu den Dienstleistungen, insbesondere der mittelgroßen und großen Verlage, gehören müsste. Dass APCs bei Publizierenden und vielleicht den finanzierenden Institutionen die Erwartung entstehen lassen, diese Gebühren könnten verlagsseitig die formale Qualitätssicherung finanzieren, ist nicht unwahrscheinlich, sondern sogar nachvollziehbar. Interessanterweise sind es heute oft kleinere Wissenschaftsverlage, die die Tradition eines sorgfältigen Lektorats fortführen.

Open Access dennoch Erfolgsgeschichte

Bei aller Kritik, die auch in dieser Runde an den Verlagen geäußert wurde, die insbesondere vom System der APCs profitieren, war festzuhalten, dass diese Verlage ebenso wie die meisten Wissenschaftler*innen nach wie vor von dem Anspruch getrieben sind, qualitativ hochwertige wissenschaftliche Erkenntnisse zu publizieren. Dass wissenschaftliche Erkenntnisse zunehmend weltweit frei in Open Access verfügbar sind, ist in jedem Fall ein Fortschritt. Gleichzeitig sollte die Community die Publikationsmechanismen kritisch und informationsethisch hinterfragen und, wo nötig und soweit möglich, stetig verbessern. Dazu gehört auch, Alternativen zu Gold-Open -Access als vermeintlichen Goldstandard des Open-Access-Publizierens im Blick zu behalten.

 

Der Open-Access-Smalltalk der Vernetzungs- und Kompetenzstelle wird im Jahr 2022 fortgesetzt. Wir freuen uns auf rege Beteiligung und diskutieren gern sowohl zu diesem Thema weiter als auch über anderen Aspekte von Open Access und Open Research, die unsere Community beschäftigen. Vorschläge sind sehr willkommen.