17.09.2024 | Sharon Hundehege
von Sharon Hundehege (Studentische Mitarbeiterin in der Vernetzungs- und Kompetenzstelle Open Access Brandenburg)
Das Jahr 2024 steht für 75 Jahre Grundgesetz und wird entsprechend als Jahr der Demokratie begangen. Ein wichtiger Teil dieser Demokratie ist es, dass staatliches Handeln transparent dokumentiert wird und dadurch auch Jahre später noch nachvollzogen werden kann. Entscheidend sind hierbei Archive. Die gewünschte Transparenz setzt voraus, dass diese und ihre Bestände weitgehend zugänglich sind. Die Frage ist nun, ob dies auch gewährleistet ist? In diesem Jahr beschäftigt sich daher das Frauenhofer-Institut für System und Innovationsforschung (ISI) unter dem Stichwort Informationsfreiheit mit dem Thema wie “offen” Archive wirklich sind.
Um dies herauszufinden, wurde unter anderem die im Jahr 2000 veröffentlichte Empfehlung zum Zugang zu Archiven in den Mitgliedsländern des Europarats ausgewertet. Zusammenfassend lässt sich daraus schlussfolgern, dass die Mitgliedsländer des Europarats die Empfehlungen in die nationalen Rechtsvorschriften übernommen haben. Das Frauenhofer ISI spricht jedoch auch von Mängeln bei der Umsetzung. Als ein Grund hierfür wird ein zu geringer Druck von der Gesellschaft auf die jeweiligen Archive angegeben. Der Report verweist auch darauf, dass die Persönlichkeitsrechte im Jahr 2000 noch nicht so stark geschützt waren, wie sie es heute sind und dass dies die Archive in Sachen Offenheit vor neue Herausforderungen stellt.
Doch wie behandelt die deutsche Archivwelt dieses Thema? Zum Beispiel mit einem 2016 durch den Verband deutscher Archivare gegründeten Arbeitskreis. Seit seiner Gründung widmet sich der Arbeitskreis (AK) Offene Archive der Untersuchung und Förderung aktueller Entwicklungen im Bereich digitaler Kommunikations-, Kollaborations- und Präsentationsmöglichkeiten in Archiven. Er ging aus der Arbeitsgruppe (AG) Social Media und Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) sowie dem Umfeld der seit 2012 stattfindenden Konferenzreihe „Offene Archive“ hervor. Mit zwei jährlichen Treffen bietet er eine Plattform für den Austausch von Ideen, Erfahrungen und Best Practices in diesem Bereich.
Die behandelten Themen spiegeln die Vielfalt der Herausforderungen und Chancen, denen sich Archive heute gegenübersehen. Dazu gehören Öffentlichkeitsarbeit in und zu Archiven, digitale Kommunikation und soziale Medien sowie die Integration digitaler Technologien in archivarische Prozesse. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Partizipation und Vernetzung, der Offenheit und dem Dialog mit potenziellen Nutzerinnen und Nutzern sowie auf der Serviceorientierung von Archiven. Dabei spielen auch Themen wie Diversität und Sensibilität von zum Beispiel benachteiligten Gruppen eine wichtige Rolle, um ganz im Sinne demokratischer Teilhabe sicherzustellen, dass Archive so weit wie möglich für alle zugänglich und ansprechend sind.
Ein zentrales Anliegen des AK sind die Koordination und Organisation von Veranstaltungen, die den Informationsaustausch und die Vernetzung innerhalb der archivarischen Gemeinschaft fördern. Ein wichtiges Instrument hierfür ist der Blog des AK, der nicht nur Mitgliedern, sondern auch Nicht-Mitgliedern als Vernetzungs- und Informationsangebot dient.
In jüngster Zeit wurden im Blog des AK Themen wie Barrierefreiheit behandelt, insbesondere im Hinblick auf die Bereitstellung von archivarischem Material in leichter Sprache sowie die Integration von Maßnahmen zur barrierefreien Kommunikation in Notfallsituationen.
So leistet der Arbeitskreis Offene Archive einen wichtigen Beitrag zur Förderung und Weiterentwicklung von digitalen Kommunikations- und Präsentationsmöglichkeiten in, von und zwischen Archiven, indem er eine Plattform für den Austausch von Wissen und Erfahrungen bietet und innovative Ansätze vorantreibt.
Um mehr über das Thema Offene Archive und damit verbundene Aktivitäten zu erfahren, habe ich mit Prof. Dr. Susanne Freund gesprochen:
Mein Name ist Susanne Freund. Seit 2006 bin ich als Professorin im Fachbereich Informationswissenschaften an der Fachhochschule Potsdam tätig. Meine Hauptlehrgebiet ist die Historische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit in Archiven. Ich bin Mitglied des VdA, aber noch nicht explizit des AK „Offene Archive“ . Der Beitritt steht noch auf der Agenda.
„Offene Archive“ ist ein dehnbarer und weiter Begriff. Er impliziert erst einmal, dass Archive keine „closed shops“ sind, sondern für alle Bürger:innen offen sein sollten. Das war nicht immer so. Abgesehen von Wissenschaftler:innen wurden bis Ende der 1970er Jahre kaum andere Zielgruppen angesprochen.
In dieser Hinsicht hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr viel geändert, wenngleich der Begriff „Archiv“ auch heute großen Teilen der Bevölkerung nach wie vor nichts sagt und auch nicht realisiert wird, dass diese für alle zugänglich sind. Die Gründung von Arbeitskreisen im VdA wie dem „Arbeitskreis Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit“ (1998) und nicht zuletzt dem Arbeitskreis „Offene Archive“ (2016) haben jedoch viel zur Popularität von Archiven beigetragen. Insbesondere die Information und Kommunikation über Social Media entspricht dem „offenen“ Archivverständnis.
Bibliotheken sind Archiven in punkto Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit immer einen Schritt voraus. Der freie Zugang von Wissen in Bibliotheken entspricht einer Strategie der Informationsvermittlung, die längst Alltag ist. Archive müssen diese Strategie oftmals erst entwickeln, und zwar indem sie ihre Zielsetzung in den Fokus rücken, als Demokratie bildende Institutionen am gesellschaftlichen Diskurs mitzuwirken.
Die Strahlkraft von Archiven nach außen definiert sich auch über die Partizipation der Bürger:innen ─ hier könnten Archive ihre Kompetenzen noch mehr zum Leuchten bringen, indem sie verstärkt auf Citizen Science- und Crowd Sourcing-Projekte setzen. Die Arolsen Archives haben diesbezüglich eine Vorreiterrolle übernommen.
Der mit der Gründung des Arbeitskreises vor 8 Jahren gesetzte Impuls erwies sich als nachhaltig und erreichte inzwischen einen Wirkungsgrad, der weit über die Mitglieder des VdA hinaus geht. Insbesondere jüngere Zielgruppen fühlen sich von dem Format angesprochen. Von daher ist der Arbeitskreis weiter in seinen Aktivitäten zu unterstützen! Eine große und schon nicht mehr neue Herausforderung wird Künstliche Intelligenz sein, ein Thema, das uns alle angeht mit dem aber die junge Generation längst umgeht.
Leider befördert die Archivcommunity ihr „verstaubtes“ Image oftmals subtil, wenn darauf insistiert wird, dass für Öffentlichkeitsarbeit – geschweige denn für Bildungsarbeit – keine Ressourcen zur Verfügung stehen. Dieses Argument höre ich immer wieder. Es fehle an Personal, an Räumlichkeiten, an Zeit, vor allem an Finanzen. Das ist die Quadratur des Kreises – ohne Öffentlichkeitsarbeit keine Aufmerksamkeit – ohne Aufmerksamkeit keine zusätzlichen finanziellen Zuschüsse, also kein erfolgreiches Fundraising.
Um groß zu denken und vor allem die vielen „kleinen“, also die „Ein-Frau-Ein-Mann-Archive“, die oftmals von den Kommunen abhängig sind und nicht frei agieren können, zu entlasten, wäre vielleicht eine professionelle Werbekampagne des VdA über Podcasts, über Social Media, Hörfunk und Fernsehen mit guten, eingängigen Slogans sinnvoll – ansprechendes Bild- und Filmmaterial, junge Menschen, die ihre Tätigkeit vorstellen und für diese werben. So könnte der „Lichtkegel“ auf die Institution Archiv gerichtet werden – im Sinn von „es gibt Sie ─ auch in Ihrem Heimatort“. Für eine solche Kampagne Geld in die Hand zu nehmen, wäre aus meiner Sicht eine längst überfällige und lohnenswerte Investition, zumal es nicht nur um die Werbung von Nutzer:innen, sondern vor allem auch um die Gewinnung von Fachkräften geht. Die Positionierung von Archiven als lukrative Arbeitgeber auf dem umkämpften Arbeitsmarkt, der sich zu einem „Arbeitnehmer:innenmarkt“ entwickelt hat, wird zwingend notwendig sein, wenn die vielen vakanten Stellen in den nächsten Jahren besetzt werden sollen.
Es würde Archivar:innen guttun, sich von diesem äußeren und manchmal auch selbst auferlegten Druck in Konkurrenz mit anderen Bildungs- und Kultureinrichtungen zu lösen und nach ganz einfachen Mitteln zu greifen, um wahrgenommen zu werden. Das fängt schon bei der Beschilderung der Archive an. Ein Türschild kostet wirklich nicht viel, sollte aber modern gestaltet und vor allem gut sichtbar sein. Zentraler Punkt ist der direkte Kontakt zu den unterschiedlichen Zielgruppen, regelmäßige Veranstaltungen wie Themenabende, Paläografiekurse, Angebote für Schüler:innen etc. und eine gute Vernetzung mit den digitalen und durchaus auch analogen Presseverteilern. Regelmäßige Posts über Social Media und ab und zu ein Highl Light wie z.B. der Hinweis auf einen besonderen Bestand etc. – das reicht eigentlich schon, um als „offene“ Einrichtung wahr genommen zu werden. Es müssen nicht immer die spektakulären Projekte sein, die in der Tat ressourcenintensiv sind. Viele Archive verfahren so bereits und sind gut in der Gesellschaft positioniert.
Mit einem Wort: eine große Rolle! Die freie Zugänglichkeit von Wissen, Wissen über Geschichte, Wissen über Prozesse und Strukturen etc. ist die Grundlage von Archiven. Das Forschungsdatenmanagement, also Services und Werkzeuge der Datenbereitstellung bis zu Best-Practice-Lösungen der Wissensvermittlung, fordern von Archiven eine eindeutige und herausgehobene Positionierung in der Informationsgesellschaft mit Blick in die Zukunft.