25.10.2023 | Ben Kaden
Open Access Takeaways zur Podiumsdiskussion Open Access in der Region Berlin-Brandenburg: Was wurde erreicht und wo geht es hin? (24.10.2023)
Diese Woche ist die International Open Access Week 2023 und ein Glanzlicht für Berlin und Brandenburg fand am Dienstag (24.10.2023) im Hörsaal des Zuse-Instituts in Berlin-Dahlem statt. Bei der Auftaktveranstaltung der aktuellen Auflage von Quo Vadis Offene Wissenschaft in Berlin und Brandenburg trafen unter der Moderation von Andreas Brandtner, leitender Direktor der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin und Mitglied der AG Open-Access-Strategie Berlin, und in Gastgeberschaft von Christof Schütte, Präsident des Zuse-Instituts Berlin, sechs Leitfiguren der Open-Access-Entwicklung in Berlin und Brandenburg zusammen, um drei Zeitschichten der Open-Access-Bewegung zu reflektierten: die vergangenen 20+ Jahre, die Herausforderungen der Gegenwart und die Visionen für eine Zukunft von Open Access bis, so die Setzung des Zeitfensters, 2040.
Podium der Diskussion am 24.10.2023 in Berlin-Dahlem. v.l.n.r. Martin Grötschel, Kathrin Grotz, Jürgen Christof, Ariane Jeßulat, Peter Kostädt, Heinz Pampel. (Foto: Michaela Voigt)
Der Blick ging zunächst zurück auf die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen aus dem Jahr 2003, die man, so Heinz Pampel, Professor für Informationsmanagement am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, auch heute durchaus einmal pro Woche lesen sollte, damit man das Grundanliegen der Bewegung nicht aus den Augen verliert.
Mit ihm auf dem Podium saß mit Martin Grötschel, langjähriger Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und einer der maßgeblichsten Berliner Akteure der offenen Wissenschaft, der einen historischen Bogen von der Preprint-Kultur der 1960er-Jahre über die Zeitschriftenkrise und wissenschaftlichen Publikationskulturen der 1980er- und 1990er-Jahre bis in die Gegenwart und zur Open-Access-Strategie für Berlin aus dem Jahr 2015 spannte. Peter Kostädt, Chief Information Officer der Universität Potsdam, konnte nicht nur mit dem Hinweis auf die Brandenburger Open-Access-Strategie direkt anknüpfen, sondern auch vielfältige Erfahrungen und Perspektiven sowohl aus dem Land Brandenburg als auch aus dem Wissenschaftsmanagement einbringen.
Mit Kathrin Grotz, stellvertretende Direktorin des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, fand sich die Dimension sammlungsbezogener Openness sowie der Chancen und Rollen von Museen in der Diskussion repräsentiert. Die Anforderungen, Wünsche und Visionen für Open Access und Open Research für Kunst und künstlerische Forschung wurden von Ariane Jeßulat, Vizepräsidentin der Universität der Künste Berlin, vertreten. Ihre Universität teilt sich bekanntlich ein Bibliotheksgebäude mit der Universitätsbibliothek der Technischen Universität, deren Direktor Jürgen Christof viel von den Mühen und Erfolgen in seiner Einrichtung zu berichten wusste.
Es wird an anderer Stelle eine ausführliche Auswertung der Veranstaltung geben, weshalb wir an dieser Stelle nur einige Eckpunkte aus der Diskussion als Takeaways dokumentieren wollen.
- (1) Open Access ist ein weithin, jedoch mit unterschiedlichen Ausprägungen, akzeptierter Publikationsweg mit mittlerweile hohen Quoten. Die Diskussionen und Kontroversen verschoben sich seit 2003 von der Frage des Ob zur Frage des Wie.
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- (2) Open Access erweitert sich in Richtung Open Research / Open Science.
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- (3) Das kommerzielle und auf Transformationsvereinbarungen wie DEAL setzende Open Access führt zwar zu einer Steigerung von Open-Access-Quoten, aber nicht zu dem Open Access, wie es in der Berliner Erklärung antizipiert wurde. Zugleich bleiben die Grundprobleme von eingeschränkter Kostentransparenz und hohen Preissteigerungen.
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- (4) Alternative Modelle zum kommerziellen, gebührenbasierten Open Access sind notwendig und werden vor allem im wissenschaftsgeleiteten bzw. Diamond Open Access gesehen.
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- (5) Kooperation und Nachhaltigkeit bei Open-Access-Infrastrukturen sind für den Erfolg der Open-Access-Transformation unverzichtbar.
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- (6) Der Aufbau von Infrastrukturen erfolgt bisher häufig projektbasiert über Drittmittel. Die nachhaltige Überführung in einen Regelbetrieb gelingt zu selten. Hier braucht es neue Ansätze und eine dauerhafte Finanzierung.
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- (7) Erst Veränderung der karriererelevanten Reputationszuschreibung und die Verschiebung der Ansätze der Wissenschaftsmessung und -bewertung von quantitativen hin zu qualitativen und Openness berücksichtigenden Verfahren wird auch das Publikationsverhalten der Forschenden nachhaltig verändern.
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- (8) Neben der Wissenschaft und dem wissenschaftlichen Publizieren stehen Kunst, künstlerische Forschung und unterschiedliche mit Sammlungsobjekten befasste Disziplinen im Mittelpunkt der Entwicklung im Bereich Openness. Diese erfordern jeweils differenzierte Konzepte und Lösungen.
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- (9) Open Access, Open Science und Open Research bleiben sowohl rechtlich, technisch, organisatorisch und handlungspraktisch herausfordernd.
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- (10) Openness ist kontextabhängig und muss differenziert betrachtet werden. Gerade bei Forschungs-, Kultur- und Objektdaten steht neben der Offenheit auch die Notwendigkeit einer Balance zwischen Anforderungen des freien Zugangs (FAIR) und ethischen Fragestellungen (CARE).
Ergänzend möchten wir einige der getroffenen Aussagen paraphrasiert und inhaltlich geclustert dokumentieren. Einen exzellenten Überblick bietet auch die Live-Dokumentation der Veranstaltung durch das Open Access Büro Berlin auf Mastodon.
Rückblick auf 20 Jahre Berliner Erklärung
- Neben den kommunikations- und wissenschaftsethischen Ansprüchen gab es auch einen funktionalen Impuls für Open Access: die Beschleunigung der Wissenschaft und daraus resultierende Kommunikationserwartungen kollidieren mit den langwierigen Publikations- und Begutachtungsspannen der Wissenschaftsverlage, was in einigen Disziplinen bereits sehr früh über Preprint-Server adressiert wurde. (Martin Grötschel)
- Die Open-Access-Transformation ist ein wirksamer Prozess, der aber deutlich länger dauert, als man ursprünglich dachte. (Martin Grötschel)
- In der Open-Access-Transformation laufen Prozesse parallel und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. (Martin Grötschel)
- Die Akzeptanz von Open Access steigt, mutmaßlich durch den Generationswechsel in der Wissenschaft. (Martin Grötschel)
- Der Generationswechsel und damit verbundenen Einstellungen zu Openness zeigt sich ebenfalls im Bereich der Kultur-, Objekt- und Forschungsdaten. (Kathrin Grotz)
- In der Rückschau wird deutlich, wie stark Open Access und der Online-Zugang neue Forschungsmöglichkeiten geschaffen hat. Auch das Verhalten der Nutzenden hat sich dank Open Access massiv verändert. (Ariane Jeßulat)
- Die Berliner Erklärung wurde sehr stark von einem technischen Wandel aus gedacht, berücksichtigte jedoch weniger Effekte der Transformation für das Handeln und Verhalten. (Ariane Jeßulat)
- Die drei Open-Access-Erklärungen – Bethesda Statement on Open Access Publishing, Budapest Open Access Initiative, Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities – kodifizierten eine Idealvorstellung für digitale wissenschaftliche Kommunikation und wirken für die unterzeichnenden Institutionen, wenn auch nicht immer handlungszwingend, so doch wenigstens ideell verpflichtend. (Martin Grötschel)
- Wirksamer sind die Publikationsverpflichtungen zu Open Access durch die Forschungsförderer. (Martin Grötschel)
- Auch die DEAL-Verträge tragen in Deutschland erheblich zur faktischen Verbreitung von Open Access bei. (Martin Grötschel)
Open Science
- Wichtig ist Openness auch über die Publikation hinaus und vermehrt in Richtung Open Science / Open Research zu denken. (Peter Kostädt)
- Open Science ist die sinnvolle Weiterentwicklung von Open Access, was die Universität Potsdam mit ihren Open Science Leitlinien aus dem Mai 2023 adressiert. (Peter Kostädt)
- Die Stiftung Preussischer Kulturbesitz bekennt sich ebenfalls und ausdrücklich im Anschluss an die Berliner Erklärung zur Open Science und verabschiedete im November 2023 eine Open-Science-Erklärung. (Kathrin Grotz)
Publikationspraxis und Reputationskultur
- Die Reputationskultur setzt in ihrer quantitativen und auf Impact-Faktoren ausgerichteten Publikationspraxis Fehlanreize. (Jürgen Christof)
- Es gibt nach wie vor Pfadabhängigkeiten bei wissenschaftlichen Karrieren, die mit den Anforderungen und Prinzipien von Open Access kollidieren. (Martin Grötschel)
- Kritische Diskurse zu den Wissenschaftsmetriken müssen in den Fachkulturen geführt werden. (Jürgen Christof)
- Mit DORA und CoARA entwickeln sich jenseits quantitativer Bewertungspraxen neue Modelle der Wissenschaftsbewertung, die zunehmend Verbreitung und Akzeptanz finden. (Heinz Pampel)
- Bibliotheken sollten Publizierende bei Publikationsentscheidungen gezielt und insbesondere in Sachen Open Access beraten. (Heinz Pampel)
- Open Access als Publikationspraxis sollte stärker in der wissenschaftlichen Ausbildung verankert werden. (Heinz Pampel)
- Insbesondere rechtliche Beratung ist auch im Bereich der Forschungsdaten notwendig. (Ariane Jeßulat)
Kommerzialisierung
- Die Finanzströme im wissenschaftlichen Publikationssystem sind nach wie vor oft sehr intransparent und fließen auch bei Open Access an internationale Großverlage. (Jürgen Christof)
- Das angestrebte Flipping von Zeitschriften hat sich auch durch die DEAL-Verträge nicht eingelöst. (Heinz Pampel)
- Es braucht eine zu DEAL komplementäre Strategie für das wissenschaftsgeleitete Publizieren. (Heinz Pampel)
- Durch Open Access veränderte Nutzungspraxen in Rezeption und Publikation führen zu neuen Geschäftsmodellen, und zwar auch im Bereich der Daten. (Ariane Jeßulat)
- Es ist nicht per se unrechtmäßig, wenn Autor*innen oder Kulturschaffende ihre Autor*innenschaft auch finanziell entlohnt sehen wollen. Eine Abgrenzung von Kommerz und Community – in Anspielung auf das diesjährige Motto der International Open Access Week – ist oft nicht trennscharf möglich. (Ariane Jeßulat)
Kooperation
- Kooperation und Vernetzung sind der Schlüssel für die erfolgreiche Open-Access-Transformation und die Weiterentwicklung in Richtung Open Science. (Heinz Pampel)
- Kooperationen sind in den Bereichen Beratung / Help-Desks, Metadaten und Datenqualität sowie des Nachweises und der Auffindbarkeit bzw. Retrievability von digitalen Objekten notwendig. (Adriane Jeßulat)
- Die Kooperation in der Region Berlin-Brandenburg ist durch die Zusammenarbeit des Open Access Büro Berlin und der Vernetzungs- und Kompetenzstelle Open Access Brandenburg auf vielen Ebenen sehr ausgeprägt. (Peter Kostädt)
- Kooperationsdesiderate bestehen bei den technischen Infrastrukturen und Diensten. (Peter Kostädt)
- Es ist sinnvoll, Dienste, zum Beispiel für Diamond Open Access, regional-kollaborativ aufzubauen und zu betreiben. (Peter Kostädt)
- Für die Koordination eines solchen Aufbaus sind die Bibliotheksverbände passende Akteure. Sie sollten in die Lage versetzt werden, Open-Access-Infrastrukturen nach den Anforderungen moderner, offener Wissenschaft aufbauen und betreiben zu können. (Peter Kostädt)
- Für die Region Berlin-Brandenburg sollte der KOBV entsprechend gestärkt werden. (Peter Kostädt)
- Institutionsspezifische Einzel- bzw. Insellösungen sind zu vermeiden. (Peter Kostädt)
- Für eine erfolgreiche Kooperation gibt es häufig erhebliche, teils unüberwindliche administrative, rechtliche und finanzielle Hürden. (Jürgen Christof)
Diamond-OA
- Das wissenschaftsgeleitete Publizieren ist ein sich entfaltender Ansatz und eine Alternativ zum kommerziellen Open Access. (Heinz Pampel)
- Diamond Open Access ist ein Weg einer Alternative zu kommerziellen Open-Access-Geschäftsmodellen, aber zugleich mit zahlreichen Herausforderungen und Widerständen verbunden. (Jürgen Christof)
- Diamond Open Access muss von den Publizierenden als passende Alternative angesehen und freiwillig angenommen werden. (Jürgen Christof)
- Auch die Fachkulturen müssen einen Anteil leisten und von sich aus die nötigen fachinternen Diskurse zu mehr Openness führen. (Jürgen Christof)
- Der Aufbau von Infrastrukturen für Diamond Open Access sind eine Aufgabe für Hochschulen und Wissenschaftliche Bibliotheken. (Jürgen Christof)
Sammlungen und Kultur
- Openness ist bei Sammlungen und Sammlungsobjekten aus technischen, rechtlichen und ethischen Gründen sehr komplex. (Kathrin Grotz)
- Sammlungen sind zudem nie abgeschlossen, sondern fortlaufend Work-in-Progress, was ihnen eine besondere Dynamik gibt. (Kathrin Grotz)
- Der Schlüssel zu Openness im Kulturbereich sind die Digitalisierungsprojekte. (Kathrin Grotz)
- Wissenschaftliche Daten und Kulturdaten sollten, anders als noch in der Berliner Erklärung angeregt, gemeinsam als ein hybrider Datenraum betrachtet werden. (Ariane Jeßulat)
- Besonders bei offenen Kulturdaten sind langfristige Zyklen und kontingente Entwicklungen relevant. (Kathrin Grotz)
Anforderungen und Herausforderungen
- Die Open-Access-Transformation und Digitalisierungsförderung muss einen stabilen politischen und finanziellen, auf Kontinuität gerichteten Rückhalt haben. (Kathrin Grotz)
- Es braucht adäquate Publikationswege jenseits des kommerziellen Publizierens, weil auch im kommerziellen Open Access die Steigerung der Bibliotheksbudgets nicht mit den Preissteigerungen mithalten. (Peter Kostädt)
- Der Infrastrukturaufbau muss dauerhaft und nicht primär über kurzfristige Drittmittelflüsse abgesichert werden. Strukturfinanzierungen müssen langfristig und verlässlich sein. Die Problemstelle ist die Überführung der über Drittmittel konzeptionierten und angeschobenen Infrastrukturprojekte in einen Regelbetrieb mit nachhaltiger institutioneller Anbindung. (Jürgen Christof)
- Die institutionell, zum Beispiel von Universitätsbibliotheken, angebotenen Open-Access-Infrastrukturen müssen aus Sicht der Publizierenden eine tatsächliche Alternative darstellen. (Jürgen Christof)
- Die Fachwissenschaften müssen ihre Vorstellungen der Wissenschaftsbewertung ändern und stärker in Richtung Open Access, Open Science bzw. Open Research ausrichten. (Jürgen Christof)
- Open Access braucht eine globale Perspektive, die auch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den jeweiligen Weltregionen berücksichtigt. Es ist anzuerkennen, dass Open Access nicht universal konsensfähig ist und andere Wissenschaftskulturen andere Prioritäten setzen. (Martin Grötschel, Jürgen Christof)
Ausblick und Wünsche (Open Access im Jahr 2024)
- Die Wissenschaft möge erkennen, dass es quantitativ weniger und dafür qualitativ hochwertigere Publikationen braucht. (Martin Grötschel)
- Auf europäischer Ebene würde massiv in nachhaltige und offene Wissenschaftsinfrastrukturen investiert. (Martin Grötschel)
- Die Menge der Publikationen sollte sich bis zum Jahr 2040 halbieren. (Jürgen Christof)
- Das Publizieren ist ein einfacherer Prozess als heute. Es gibt komplette Kostentransparenz (Peter Kostädt)
- Es gibt adäquatere Bewertungsmodelle für wissenschaftliche Publikationen und Daten. Der Fokus liegt auf Qualität und Openness. Open Access ist der Standard beim wissenschaftlichen Publizieren. (Peter Kostädt)
- Open Access sollte die selbstverständliche Publikationsform sein. Im Mittelpunkt der Forschung, des Publizierens und der Frage nach dem Zugang steht die Balance zwischen Datenqualität (FAIR) und Forschungsethik (CARE). (Kathrin Grotz)
- Die Künste sollten auf Augenhöhe als Formen der Wissensproduktion anerkannt werden. (Ariane Jeßulat)