07.11.2022 | Ben Kaden
Das Konzept der Transformation, also auch der Open-Access-Transformation, verweist auf eine fortlaufende Bewegung. Das Wirkungsfeld von Open Access im Jahr 2022 ist nicht mit dem des Jahres der Berliner Erklärung, also 2003, vergleichbar. Es ist aber auch nicht mehr deckungsgleich mit dem Jahr 2019, in dem das Land Brandenburg seine Open-Access-Strategie vorgelegt hat, aus der die Vernetzungs- und Kompetenzstelle als ein Mittel der Transformationsbegleitung hervorging. Deren Einrichtung im Jahr 2021 führt erwünschtermaßen zu Rückkopplungs- und Verstärkungseffekten, dank derer sich Open Access im Land Brandenburg gegen Ende 2022 bereits anders darstellt als im Frühjahr 2021.
Daraus ergibt sich eine Notwendigkeit, regelmäßig zu überlegen, wohin die Reise geht bzw. die Maßnahmen führen sollen. Es gilt, fortlaufend Zielpunkte und Handlungsmöglichkeiten zu prüfen.
Die Vernetzungs- und Kompetenzstelle führt daher sogenannte Strategieweiterentwicklungsworkshops zu den verschiedenen Facetten ihrer Arbeit durch. Ein erster Workshop fand am 14. Oktober 2022 mit dem Zuschnitt auf den Kern von Open Access, dem wissenschaftlichen Publizieren, statt.
Ziel der Veranstaltungsreihe ist das Weiterdenken an den Maßnahmen, welche die Open-Access-Transformation in Brandenburg begleiten. Im Workshop diskutierten die Teilnehmenden, allesamt Open-Access-Professionals aus der Region, darüber anhand von vier Schwerpunkten:
Dabei wurde eine große Bandbreite von Themen angesprochen, teils auch nur angerissen. An dieser Stelle sollen zunächst die besonderen strategischen Takeaways zusammengefasst werden.
Weitere Aspekte der Diskussion beispielsweise zur Rolle von Open-Access-Quoten, Publikationsgebühren, der Lizenzierung und dem Zweitveröffentlichungsrecht werden wir bei Gelegenheit gesondert aufgreifen.
Die Perspektiven der Teilnehmenden waren nicht immer deckungsgleich, was wieder einmal bestätigt, dass es keinen schematischen Standardansatz für Open Access geben kann. Unterschiedliche Interessen sind auszugleichen, vieles muss verhandelt werden und eine Reihe von Transformationspunkten steht in Abhängigkeit von hochschul- und wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die neben Open Access und Open Research zahlreiche weitere Aspekte berühren. Kurz: Open Access muss so gestaltet werden, dass es funktioniert.
Einige Aspekte sind freilich unstrittig: Man braucht Kompetenzen. Man braucht Ressourcen, um diese Kompetenzen in Personalstellen und einer angemessenen Open-Access-Infrastruktur nutzbar zu machen. Die Open-Access-Transformation wird keinen Abschluss an sich finden, selbst wenn Open Access zum Standard wird. Denn das wissenschaftliche Publizieren und seine Rahmenbedingungen werden sich auch in einer konsequent offenen Variante in den Details, Zielstellungen und Anforderungen permanent verschieben.
Es wundert also nicht, wenn generell aus dem Workshop als ein erstes Takeway abgeleitet werden kann:
Im Land Brandenburg stechen konkret der Publikationsfonds für Open-Access-Monografien sowie das Open-Access-Monitoring, heraus. Eher unter- als nachgelagert sind Maßnahmen zur Bündelung und Vermittlung von Expertise sowie der Vernetzung. In gewisser Weise als Desiderat sieht man an vielen Stellen Angebote zum kontinuierlichen, bedarfsnahen Ausbau der technischen und beratenden Open-Access-Infrastruktur. Repositorien sind beispielsweise überall vorhanden. Aber die ebenfalls notwendige Weiterentwicklung erweist sich zunehmend als kompliziert.
Bei der Beratung wird regelmäßig der Aspekt einer rechtlichen Absicherung und Begleitung von Open Access benannt. Dabei existieren sogar dafür immer wieder Ansätze. Da vieles jedoch in Projektform realisiert wird, ist die beständige, verlässliche Weiterentwicklung selten garantiert. Eine steuerbare Open-Access-Transformation benötigt aber genau dieses Fundament. (siehe auch unten)
Aus der Diskussion zu den Pain Points ergab sich eine Einschätzung, die nicht alle, aber doch viele der Teilnehmenden sahen:
In diesem Zusammenhang wirken erwartbar unterschiedliche Rollenerwartungen. Auch das Open-Access-Feld ist von unterschiedlichen, individuell variablen Erwartungen geprägt. Einigen geht die Transformation zu langsam, andere sind zufrieden, wenn sie mithalten. Zwar weniger unter den Teilnehmenden des Workshops, aber als Erfahrung benannt findet sich auch die Position, dass das Thema weniger Gewicht hat und man daher eher abwarten sollte.
Je nachdem werden also auch die eigene Einrichtung und die eigenen Aktivitäten als gestaltend, verwaltend oder abwartend einzuordnen sein. Faktisch gibt jedoch die Open-Access-Strategie eine klare Orientierung in Richtung einer möglichst gestaltenden Rolle für die Einrichtungen.
In diesem Zusammenhang ergibt sich eine weitere Differenzierung, die, zum Beispiel im Vergleich mit dem Impetus der großen Open-Access-Erklärungen aus der Frühphase der Entwicklung, eine gewisse normative Nüchternheit ausdrückt:
Die Gründe dafür sind offensichtlich. Alle Teilnehmenden stehen vor der Aufgabe, die Open-Access-Maßnahmen in ihren Einrichtungen so zu gestalten, dass sie Resonanz finden und im jeweiligen Setting funktionieren. Idealistische Ansprüche an Open Access müssen in für die Einrichtungen passende Maßnahmen übersetzt werden.
Je mehr sich Open Access normalisiert und als Standardoption des wissenschaftlichen Publizierens entwickelt, desto weniger erforderlich erscheint die Betonung der wissenschaftsethischen Besonderheit. Überzeugungsarbeit bleibt an vielen Stellen notwendig, muss aber nicht mehr jede Kommunikation begleiten.
Die Ablösung von Universalansprüchen zugunsten differenzierter Lösungen schlägt sich auch im nächsten Takeaway aus dem Workshop nieder:
Man benötigt also beide Perspektiven. Für die Angebote bedeutet dies allerdings einen Zuwachs an Kompetenz und Anforderungen.
Das ist auch für die Arbeit der Vernetzungs- und Kompetenzstelle wichtig. Sie kann einerseits bestimmte Aufgaben direkt übergreifend übernehmen. An anderen Stellen vermag sie nur mittelbar über das Aufzeigen von Good-Practice-Beispielen oder die Vernetzung von Akteuren mit entsprechend relevanter Expertise zu wirken. In einigen Fällen beschränkt sich ihre Handlungsmöglichkeit möglicherweise auf das systematische Registrieren und Sichtbarmachen von Bedarfen, für die eine optimale Lösung noch fehlt.
Verlässt man also die Globalperspektive, in der ein Schritt Richtung Open Science und Open Research als nächste unvermeidliche Evolutionsstufe erscheint, erkennt man schnell, dass es sich eigentlich um Gleichzeitigkeiten handelt. Die vielfältigen Bausteine von Offener Wissenschaft (Open Source, Open Research Data, Open Standards etc.) besitzen ein erhebliches Verschränkungspotential mit dem wissenschaftlichen Publizieren, denn schließlich geht es darum, Wissenschaft öffentlich und nachnutzbar zu machen. Aber dies muss die jeweiligen rechtlichen, medien- und formatspezifischen oder auch rezeptionstypischen Logiken dieser Inhalte berücksichtigen. Ein wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz ist und bleibt etwas anderes als der publizierte Quellcode eines digitalen Werkzeugs.
Daher ergab sich als Einsicht aus dem Workshop:
Dies meint keinesfalls eine Vernachlässigung von Schnittpunkten und Überlappungen mit anderen Bereichen. Weiterentwicklungen in dieser Richtung sollten jedoch in Kooperation mit anderen, entsprechend ausgerichteten Akteuren erfolgen. Im Idealfall findet man auf einer Vernetzungsebene zum Austausch der Expertise aus den jeweiligen Domänen zusammen. Die Vernetzungs- und Kompetenzstelle Open Access Brandenburg übernähme dabei ihrem Namen gemäß die Rolle für das Publizieren und Verfügbarmachen wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Unverkennbar ist, dass Open Access neben Publizierenden eine Vielzahl weiterer Akteur*innen in den Hochschulen anspricht. Für die Kommunikation sind diese unterschiedlichen Zielgruppen mit ihren Interessen differenziert zu adressieren.
Die Vernetzungs- und Kompetenzstelle ist aktuell vor allem auf die strategische Kommunikation ausgerichtet. Daraus folgt:
Im Rahmen der Arbeit des Publikationsfonds lässt sich beispielsweise unmittelbar ein konkretes Nachfrageprofil seitens der Publizierenden feststellen.
Auf der Ebene der Hochschule stellt sich dies zugleich als genereller Beratungsbedarf, als Vermittlungsbedarf der entsprechenden Fördermöglichkeiten für Open Access, aber auch als Infrastrukturbedarf dar. Idealerweise sollten alle drei Facetten abgesichert sein. Dies geschieht in der Regel über die Tätigkeitsbeschreibungen der jeweiligen Open-Access-Professionals und teils der Rechen- oder Medienabteilungen.
Einige Einrichtungen entwickeln zudem eigene Fördermöglichkeiten. Oft geht diesem Schritt ein Bekenntnis zu Open Access in Form der Unterzeichnungen von Erklärungen sowie eigenen Hochschulstrategien voraus. Die Entscheidungen dafür werden auf der Leitungsebene unter Einbeziehung diverser Akteur*innen aus der Organisation getroffen. Die Koordination von solchen Maßnahmen muss ins Organisationsgefüge eingebunden werden.
Strategische Verschiebungen im Bereich Open Access führen also unvermeidlich zu einem dezidierten Weiterbildungsbedarf, der angesichts unterschiedlicher Arbeits- und Aufgabenprofile meist nicht mit Pauschallösungen aufgefangen werden kann.
Will man zudem aus dem bereits genannten reaktiven Ansatz heraus und zu einer partizipativen und gestaltenden Einbindung der Zielgruppen in die Open-Access-Transformation gelangen, sind neben der Wissensvermittlung auch Aktivierungs- und Teilhabeangebote notwendig.
Eine entsprechend partizipativ ausgerichtete Herangehensweise ist nicht zuletzt für die Akzeptanz der Veränderungen notwendig. Dieser Punkt erweist sich bei nahezu allen Transformationsprozessen als entscheidend. Im Workshop wurde daher passend formuliert:
Hierfür bietet die Organisationsforschung zahlreiche methodische Ansätze, beispielsweise eine narrative Vermittlung der Prozesses als “Journey”. Die Vernetzungs- und Kompetenzstelle konnte vielfach einen Bedarf an Kommunikationsstrategien für eine aktivierende Vermittlung von Open Access feststellen. Während die reine Informationsvermittlung vergleichsweise gut abgedeckt ist, fehlen häufig kommunikative Lösungen für jeweils zielgruppenadäquate Ansprachen und möglichst auch Einbindungen.
Andererseits können auch hochqualifizierte Mitarbeitende nicht alle Kompetenzprofile gleichermaßen bedienen. Gerade im technischen Bereich wirkt sich zudem ein Fachkräftemangel spürbar aus. Dieser wird teilweise mit vergleichsweise weniger konkurrenzfähigen Rahmenbedingungen wie befristeten Verträgen, Einkommensdifferenzen zum privaten Sektor sowie überschaubaren Aufstiegsmöglichkeiten begründet. Teils fehlen aber auch schlicht ausreichend für das spezifische Anforderungsprofil von Open-Access-Infrastrukturen ausgebildete Personen.
Eine Lösung könnte in einer landesweiten Aufgabenverteilung und Zentralisierung liegen:
Die Vernetzungs- und Kompetenzstelle lässt sich bereits in diesem Kontext sehen. Ein landesweites Monitoring und der Publikationsfonds sind nur zentral sinnvoll möglich.
Auch für technische Infrastrukturen wird ein Bedarf Richtung Zentralisierung bzw. besser: Kooperation gesehen. So kann die kontinuierliche Weiterentwicklung der Repositorien an den Hochschulen kollaborativ geschehen. Ebenso könnten einzelne Werkzeuge oder Lösungen arbeitsteilig von jeweils einer Hochschule für alle anderen angeboten werden.
Dies führt zum abschließenden und immer aktuellen Takeaway, nämlich der Anforderung an Beständigkeit:
Gerade wo arbeitsteilige Netzwerke entstehen, ist für die Einrichtungen eine transparente Perspektive notwendig. Nur wenn für sie verlässlich abschätzbar ist, in welcher Form und für wie lange ein Angebot existieren wird, werden sie sich auch adäquat und idealerweise mit einer großen Bereitschaft einbringen können. Umgekehrt brauchen bestimmte Angebote Planungssicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten, um ihre volle Wirksamkeit entfalten zu können.
Die benannten Takeways sind als eine temporäre Bestandsaufnahme zu lesen. Wir werden weitere Facetten insbesondere zum Open-Access-Publizieren in weiteren Blogbeiträgen zusammenstellen. Bei Fragen und Anregungen freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme.