20.05.2022 | Ben Kaden
Open Access und Bücher – das geht gut zusammen. Wie gut, zeigte die Veranstaltung zum einjährigen Bestehen des Brandenburger Publikationsfonds für Open-Access-Monografien am 18. Mai 2022. Denn glücklicherweise ist die Förderstruktur an einem Punkt in ihrer Entwicklung, an dem weniger über sie selbst gesprochen werden muss, sondern an dem ihre Resultate für sich sprechen. Ein Stapel Bücher liegt vor, tatsächlich – denn die meisten der geförderten Titel erscheinen parallel auch in einer Druckausgabe.
Mehr als beim klassischen Open-Access-Beispiel der Hochenergiephysik mit ihrer Preprint-Kultur haben viele der geförderten Publikationen einen Appeal, der über eine kleine und sehr spezialisierte Fachcommunity hinausgeht. So sind die im Titel “Bildung gestalten im Homeschooling” von Christin Tellisch, Daniela Schlütz, Michaela Stastkova und Alexander C. Lang zusammengefassten Erkenntnisse unter Pandemie-Bedingungen potentiell für mehrere 10.000 Schulen relevant und außerhalb von Pandemien für alle, die sich für hybride Schul- und Bildungsformen interessieren.
Neben diesem Werk wurden zwei weitere geförderte Bücher in der Veranstaltung besonders herausgehoben. Da wäre zunächst der 10. Band der Reihe “Interdisciplinary Polish Studies”, eine tiefgehende und lesenswerte Aufarbeitung des industriellen Wohnungsbaus in der DDR und der Volksrepublik Polen in den 1970er Jahren von Magdalena Kamińska. “Platte ist nicht gleich Platte” lautet der Titel, der sowohl Historiker*innen als auch Freund*innen und Laienforschende der Plattenbaukultur und Ostmoderne gleichermaßen ansprechen dürfte.
Das Schöne beim Open Access ist ja, wie auch bei der Veranstaltung von vielen Seiten betont, dass die Sichtbarkeit der Bücher nicht an disziplinären Grenzen Halt macht. Gero Lietz, leitender Redakteur der Reihe, verwies zudem darauf, dass dieses Buch den Auftakt für eine, wie er hofft, vollständige Öffnung der “Interdisciplinary Polish Studies”-Reihe darstellt. Der Publikationsfonds, so sein Wunsch, sollte dies weiterhin unterstützen. Sofern die Förderbedingungen erfüllt sind und die Mittel zur Verfügung stehen, dürfte dieser Wunsch problemlos in Erfüllung gehen. Den ebenfalls anwesenden Verleger, Stephan Specht vom Harrassowitz Verlag, wird dies ebenfalls freuen, strebt er doch an, die Reihe zur ersten seines Verlages zu entwickeln, die konsequent Open Access erscheint.
Förderinstrumente wie der Publikationsfonds transformieren also nicht nur abstrakt das wissenschaftliche Publizieren, sondern können durchaus auch ganz konkret Verlage motivieren, sich überhaupt erst auf neue Publikationsmodelle einzulassen. Das Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Europa-Universität Viadrina ist, wie das Publikum erfuhr, auch in anderer Hinsicht für die digitale Fachkommunikation aktiv: Es betreibt eine mehrsprachige Kommunikationsplattform namens Pol(enstudien)-Int(erdisziplinär), bei der bis zur Konsolidierung eigener Strukturen offenbar auch das hochaktuelle Feld der Ukrainian Studies Obdach findet.
Jens Eder, Professor für Dramaturgie und Ästhetik an der Filmuniversität Konrad Wolf Babelsberg, wendet sich mit einem ganz anderen Thema, aber ähnlichem Ansatz an ein globales Publikum. Sein Standardwerk “Die Figur im Film” wird in englischer Übersetzung Open Access beim im Cambridge beheimateten Open-Access-Verlag Open Book Publishers erscheinen, was die internationale Rezeption gleich doppelt befördern wird. Das Buch zeigt, wie bei Open Access in optimaler Umsetzung alle Beteiligten nur gewinnen, und darin sind ausdrücklich das Land Brandenburg als Wissenschaftsstandort und die deutsche Filmwissenschaft als Fachcommunity mit einbezogen. Denn “Characters in Film”, so der Titel der Übersetzung, bezeugt nicht allein die Forschungsleistung Jens Eders an sich, sondern auch, dass diese an der Filmuniversität genau am richtigen Ort ist und von dort aus Akzente zu setzen versteht. Ein interessanter Nebenaspekt der Entscheidung für Open Access und Open Book Publishers kam zusätzlich zur Sprache: Andere internationale Verlage hätten das Buch ebenfalls gern publiziert, allerdings nur in einer verschlankten, in gewisser Weise marktkonformen Anpassung, was konkret eine Höchstgrenze von 300 Seiten bedeutet hätte. Dank der Förderung gab es eine Alternative und das Buch erscheint nun ohne Abstriche. Auch das ist Bibliodiversität.
Der Gesamteindruck der Veranstaltung war, dass Open Access sich nicht mehr legitimieren muss. Vielmehr sprechen wir jetzt darüber, wie wir Open Access bei wissenschaftlichen Büchern weiterentwickeln und optimal ausgestalten. Gerade in den eher geisteswissenschaftlichen Publikationskulturen ist das nicht selbstverständlich. Die beiden genannten Titel dürften dabei Vorbildcharakter haben.
Es gibt natürlich noch einiges zu tun. Von Magdalena Kamińska kam eine interessante Anregung zur Integration von Open-Access-Büchern in Bibliotheksbeständen und damit in bibliothekarischen Nachweisstrukturen. Katja Krause, Leiterin der Bibliothek der Filmuniversität, betonte die Herausforderung, dass es oft im Prinzip noch zwei Welten gibt – die der Discovery-Systeme, die eher globale auch lizenzierte und affiliierte Inhalte und damit Open-Access-Titel zugänglich machen. Und die der OPACs, die stärker in der Tradition des Bestandsmanagement stehen und daher Open-Access-Titel häufig nicht direkt nachweisen. Für Nutzende ist das oft nicht transparent, womit eine Hausaufgabe sowohl für die Bibliothekswissenschaft als auch die -praxis benannt sein dürfte. Die letzte Meile der Literaturvermittlung enthält eine Gabelung, die die Auffindbarkeit von Open-Access-Büchern mitunter erschwert.
Das dürfte unter das Stichwort “Optimierung” fallen, ebenso wie die weitere Popularisierung von Open Access über ein Zusammenspiel von Infrastruktur, also i.d.R. Bibliotheken, und Wissenschaft, also Fachgesellschaften. Interessanterweise hat die Pandemie an dieser Stelle zu einer erheblichen Dynamisierung, vielleicht sogar zum nachhaltigen Kultur- und Einstellungswandel geführt. Wo Bibliotheken aus Gründen des Gesundheitsschutzes keine Präsenznutzung ermöglichen, gewinnt der digitale Zugang aus der Distanz noch einmal einen ganz anderen Stellenwert. Er ist nämlich de facto der Einzige. Remote arbeiten zu können wird als Anspruch bleiben und erweist sich nicht nur aus Gründen des Infektionsschutzes als sinnvoll. Für viele Arbeitsmodelle ist er die effektivere Variante. Er bringt zugleich neue Modelle hervor, die wiederum Teilhabemöglichkeiten ausbauen. Magdalena Kamińska verwies nachdrücklich auf die oft ausgeblendete Mehrfachbelastung gerade für viele Frauen und betonte:
“Open Access unterstützt gerade Frauen in der Wissenschaft, die eine Balance zwischen wissenschaftlicher Arbeit und Familienarbeit finden müssen. Die digitale und kostenfreie Zugänglichkeit ermöglicht es Wissenschaftlerinnen, unabhängig von Öffnungszeiten, Ausleihzyklen und Anschaffungskosten forschen zu können.”
Natürlich ist Open Access nicht gratis. Ohne Zuschuss wird der Harrassowitz Verlag derzeit vermutlich keinen Band der “Interdisciplinary Polish Studies” nach diesem Verfahren publizieren. Qualitätsgesicherte Publikationen brauchen, ob mit Wissenschafts- oder Hochschulverlag, eine Finanzierungsgrundlage. Deshalb ist es, so der Gesamteindruck dieser Veranstaltung, wichtig, dass es einen Publikationsfonds gibt, der sich an diesen Kosten zu bestimmten, bewusst auch als Steuerungsimpuls gedachten Konditionen beteiligt. Das Land Brandenburg leistet sich dieses nun auch empirisch nachgewiesen sehr wirkungsvolle Werkzeug und setzt damit auch wissenschaftspolitisch ein Ausrufezeichen. Wer mehr dazu erfahren möchte, ist sehr herzlich zu einer nächsten Informationsveranstaltung zum Fonds und zu den Förderbedingungen am 29. Juni 2022 eingeladen.